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Keine tickende Zeitbombe: Der auftauende Permafrost gefährdet die Erde anders als angenommen

Bisher galt die Auffassung, dass sich das Auftauen des Permafrosts ab einem gewissen Punkt verselbstständigt und das Klima weltweit zum Kollaps bringt. Aber das ist irreführend.

Permafrostböden speichern enorme Mengen an organischem Kohlenstoff in Form von Pflanzen, die vor Jahrtausenden abgestorben sind. Das ist unproblematisch, solange die Böden gefroren sind. Wenn sie aber auftauen, bauen Mikroorganismen die Pflanzen ab und setzen CO2und Methan frei.

Dementsprechend könnte der globale Temperaturanstieg dieses Kohlenstoff-Reservoir aktivieren und den Klimawandel durch zusätzliche Emissionen erheblich verschärfen. Vom Permafrost wird daher häufig von einer tickenden Zeitbombe geredet – einer, welche ab einem gewissen Temperaturanstieg die Umwelt abrupt und global zerstören könnte. Nach dieser Auffassung wird der Permafrost zuerst nur allmählich auftauen, könnte aber irgendwann einen kritischen Schwellenwert überschreiten, bei welchem sich die Auftauvorgänge gegenseitig verstärken.

Aber gibt es einen solchen Schwellenwert wirklich, bei dem das Klima auf der Erde plötzlich kippt?

Gefahr ist eher lokal als global

Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Jan Nitzbon vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), ist dieser Frage auf den Grund gegangen. In der Wissenschaft war die Idee eines globalen Kippelements bereits umstritten. Auch der Weltklimarat hat in seinem letzten Sachstandsbericht auf diese Unsicherheit hingewiesen. Nitzbons Team kommt jetzt zum Schluss: «Es ist irreführend, den Permafrost als globales Kippelement darzustellen.»

Das AWI-Team hat wissenschaftliche Literatur darüber zusammengetragen, welche Prozesse das Auftauen des Permafrosts beeinflussen und beschleunigen, und eigene Daten analysiert. Die Ergebnisse der Studie sind eindeutig: Es gibt geologische, hydrologische und physikalische Prozesse, die sich selbst verstärken und zum Teil unumkehrbar sind. Sie wirken aber lokal oder regional, nicht global.

Ein Beispiel sind sogenannte Thermokarstseen, also Vertiefungen im Permafrostboden. In ihnen sammelt sich Schmelzwasser, wodurch ein dunkler See entsteht, der viel Sonnenenergie absorbiert und das Auftauen verstärkt – wodurch wiederum mehr Seen entstehen.

Das macht den auftauenden Permafrost aber nicht weniger gefährlich. Die Studie zeigt nämlich auch, dass die Permafrostzone sehr heterogen ist. Es gibt daher immer mehr kleinere, lokale Kipppunkte. Und damit immer mehr Regionen, die davon betroffen sein werden. Das Auftauen des Permafrosts wird nicht zuerst langsam und dann plötzlich erfolgen, sondern sich im Gleichschritt mit der globalen Erwärmung verstärken. Sobald sie zwischen fünf und sechs Grad erreicht, wird der Permafrost zerstört sein.

«Mit anderen Worten: Es gibt keine Sicherheitsmarge der Erwärmung – wie das Bild des Kipppunkts suggeriert –, die wir noch ausnutzen können, solange wir den Schwellenwert nicht überschreiten», sagt Nitzbon. Permafrostgebiete müssten daher besser überwacht und in Klimamodellen abgebildet werden, um die Prozesse besser zu verstehen. «Je früher die Menschheit Netto-Null-Emissionen erreichen kann, desto mehr Regionen können als einzigartige Lebensräume und Kohlenstoffspeicher erhalten werden.»(lil)