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Autistischer Jugendlicher stirbt nach Aufenthalt in psychiatrischer Klinik – zuständige Ärzte angeklagt

Die Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach hat gegen zwei ehemalige leitende Ärzte der Psychiatrischen Dienste Aargau Anklage erhoben. Es geht um den Tod eines 18-jährigen autistischen Patienten.

Immer wieder hat sich ein autistischer Jugendlicher in der psychiatrischen Klinik in Königsfelden fallen lassen. Von der Bettkante oder aus dem Stand. Rückwärts auf den Hinterkopf, ohne abzubremsen. Es sind Stürze, die ihn schliesslich töten.

Nun wirft die Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach gemäss Mitteilung der Oberstaatsanwaltschaft zwei ehemaligen leitenden Ärzten der Psychiatrischen Dienste Aargau vor, «unzureichend auf das Verhalten des Patienten reagiert und dadurch dessen Tod mitverursacht zu haben».

Das war passiert

Im November 2020 trat der damals 17-jährige Patient freiwillig in die psychiatrische Klinik ein. Aufgrund einer raschen Verschlechterung seines psychischen Zustands wurde kurz darauf eine fürsorgerische Unterbringung angeordnet, die gerichtlich bestätigt wurde. Anlass dafür waren unter anderem eine Zwangsstörung und ein erhöhtes Risiko für Selbstverletzung.

In den Wochen vor dem Vorfall liess sich der junge Mann mehrfach absichtlich rückwärts fallen, wobei er sich zunehmend schwere Kopfverletzungen zuzog. Die NZZ schildert aus den Krankenakten: Der Jugendliche habe mehr und mehr Zwänge entwickelt, sei einen Monat in Isolation gewesen. Das Personal habe die Stürze im Isolierzimmer durchs Guckloch beobachtet und notiert.

Am 30. Dezember 2020 wird er schliesslich bewusstlos aufgefunden und mit einem Helikopter ins Universitätsspital Zürich geflogen. Dort halten ihn Maschinen einige Tage am Leben. Am 2. Januar 2021 um 13 Uhr werden sie abgestellt, der Patient stirbt an den Folgen eines schweren Schädel-Hirn-Traumas. Sein Zustand war hoffnungslos.

Die Staatsanwaltschaft geht gemäss Mitteilung davon aus, «dass eine engmaschige Betreuung in diesem Fall zwingend erforderlich gewesen wäre». Dies wird von einem psychiatrischen Fachgutachten abgestützt.

Oberärztin soll Tod bewusst in Kauf genommen haben

Die beschuldigte Oberärztin soll trotz Kenntnis des Selbstverletzungsrisikos und der wiederholten Stürze keine ausreichenden Massnahmen zum Schutz des Patienten getroffen haben. Sie soll damit bewusst in Kauf genommen haben, dass der Patient tödliche Verletzungen erleiden könnte. Ihr wird die vorsätzliche Tötung durch Unterlassen des Patienten vorgeworfen.

Dem mitangeklagten leitenden Oberarzt, dem die Beschuldigte unterstellt war, wird fahrlässige Tötung vorgeworfen. Er soll die Gefahrenlage zwar erkannt und dokumentiert, jedoch pflichtwidrig unterlassen haben, notwendige Schutzmassnahmen längerfristig anzuordnen oder durchzusetzen, heisst es in einer Mitteilung.

Auch weitere Familien mit autistischen Kindern hätten gemäss NZZ schlechte Erfahrungen in Königsfelden gemacht. Die Vorwürfe sind stets ähnlich: starker Fokus auf Medikamente, Druck zur Unterordnung, wenig Beschäftigung, fehlende Behandlungspläne. Die Eltern würden nicht miteinbezogen, sondern als Problem angesehen.

Die Psychiatrischen Dienste Aargau entgegnen, bewegungs- oder freiheitseinschränkende Massnahmen würden nur als letztes Mittel eingesetzt. Das Hauptaugenmerk der Behandlung liege auf therapeutischen Massnahmen und nicht auf Medikamenten.

Diese Strafe fordert die Staatsanwaltschaft

Die Staatsanwaltschaft beantragt eine unbedingte Freiheitsstrafe von sechs Jahren gegen die Oberärztin sowie eine bedingte Freiheitsstrafe von zwei Jahren gegen den leitenden Oberarzt. Die Anklage wurde beim zuständigen Bezirksgericht eingereicht.

Bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung gilt für die beiden beschuldigten Personen die Unschuldsvermutung. (fan)