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Als lauerten überall die Feinde der Demokratie

Balthasar Glättli griff bei der Absage zur Bundesratskandidatur zum verbalen Zweihänder. Die Unsitte wird zur Mode.

Als die Grünen am Dienstag vor die Medien traten, um die Medien über die Nichtkandidatur für den Bundesrat ins Bild zu setzen, war ihre Botschaft eine staatstragende. Man wolle keine Energie auf eine aussichtslose Bewerbung verschwenden, sondern sich auf die Sache konzentrieren.

So weit, so nachvollziehbar. Man könnte sich sogar zum Lob versteigen, die Grünen hätten Chancen und Risiken klug abgewogen und sich damit für die Zukunft empfohlen. Aber dann blitzte sie eben doch auf, die Oppositionsrhetorik, und die Grünen-Führung liess ihrer Enttäuschung freien Lauf. Ein «Machtkartell», seien die Bundesratsparteien.

Dass sie mit den Grünen keine Gespräche führen wollten? Ein «abgekartetes Spiel». Und schliesslich trieb es der Parteipräsident auf die Spitze. Eine «Pseudo-Demokratie» sei das, schimpfte Balthasar Glättli.

Er meinte damit die vereinigte Bundesversammlung, wenn sie ganz ordnungsgemäss die Landesregierung wählt. Ziemlich anmassend, ungeschriebenen Gesetzen zur Wahlarithmetik eine höhere Legitimität zuzusprechen als der Verfassung. Und widersinnig dazu: Schliesslich hatten ja auch die Grünen eine Volkswahl des Bundesrates abgelehnt.

Die Reaktion auf den verbalen Zweihänder blieb nahezu aus. Wohl deshalb, weil die politische Schweiz aktuell eine Inflation erlebt, was den Vorwurf der Demokratiefeindlichkeit betrifft. Kaum eine Woche vergeht, ohne dass eine Institution diesen Begriff der anderen um die Ohren schlägt. Die SVP wirft SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga eine «Öko-Diktatur» vor.

Die Grünen rotieren, weil die SVP nach der Schlussabstimmung zur Gletscherinitiative dem Parlament den Rücken zuwandte, und die Bürgerlichen wiederum, als linke Frauen nach der verlorenen AHV-Abstimmung eine Demo anzettelten.

Nicht zu vergessen die Auseinandersetzungen um den Kauf von F-35: Wechselseitig kanzelten sich Kampfjet-Befürworterinnen und -gegner als Verächter der Volksrechte ab. Exekutive, Legislative, Superlative: unter dem Totschlag-Argument Antidemokratie geht es nicht mehr, scheint es.

Ein kurzer Blick in die Zeitungsarchive bestärkt den Eindruck: Bis vor ein paar Jahren tauchte der Begriff nur gelegentlich auf. Inzwischen sind «undemokratisch» und das gesteigerte «demokratiefeindlich» aus dem täglichen Politvokabular kaum mehr wegzudenken.

Dabei hält keines der genannten Beispiele einer echten Prüfung des Wortsinns stand. Die Stopp-F-35-Initiative war rechtens und deren Nichtbeachtung ebenso, das Theater der SVP war genauso legitim wie der Aufstand von Tamara Funiciello und Sommaruga ist noch immer schlicht ein Mitglied der Landesregierung, die jeden Energie-Entscheid in eine breite Vernehmlassung schickt. Adjektive wie lächerlich, peinlich, wortbrüchig oder unfair hätten in jedem Fall gereicht.

Es ist wie damals, als gefühlt jeder Druckfehler zu «Fake News» hochgeschrien wurde: im Grunde ziemlich ignorant. Vielleicht hilft es, die Gefährdung der Schweizer Grundfeste ein bisschen zu relativieren, wenn man durch diese Zeitung blättert: Katar, Iran, Russland, Italien, die USA. Wie eigenartig müssen die gegenseitigen Vorwürfe ausserhalb dieses Landes wirken, in dem das Volk auf allen Ebenen mitreden darf.

Der Zeitpunkt für diese masslosen Töne ist ausserdem denkbar schlecht. Die Pandemie bedeutete zumindest zwischenzeitlich eine Vertrauenskrise für das Schweizer Politsystem. Mit den teils absurd überzogenen Anwürfen redet man nicht zuletzt jenen das Wort, die sich vom Glauben an die Institutionen ganz abgewendet haben. Das kann kaum das Ziel sein.

Politikerinnen und Politiker werden die Schuld daran den Medien zuschieben, deren Aufmerksamkeitsökonomie besonders krasse Zitate bevorzuge. Mag sein, dass das in einem grösseren Kontext sogar eine gewisse Rolle spielt. Für den Auftritt der Grünen am Dienstag zieht das Argument hingegen nicht: Die Medien hätten auch jeder anderen Begründung zugehört.