Alternativmediziner sollten mit dem wirksamen Placeboeffekt werben – aber keine teuren Globuli verkaufen
Der Graben zwischen den Befürwortern der Alternativmedizin und der Schulmedizin ist noch mal ein Stück breiter geworden, seit bekannt wurde, dass in Appenzell Ausserrhoden mehrere Frauen nach einer solchen Behandlung in einer Klinik gestorben sind.
Todesfälle sind extrem selten. Im Normalfall schaden alternative Therapien nicht. Allerdings konnte auch noch nie glaubhaft gezeigt werden, dass Globuli mehr wirken als die Einnahme eines simplen Zuckerkügelchens.
Doch gerade darin besteht das grosse Missverständnis: Nur weil Globuli nicht besser wirken als ein Placebo, heisst es nicht, dass man sie nicht nehmen sollte. Der Placeboeffekt ist eine unterschätzte Wirkung, die erst in den letzten Jahren besser verstanden wurde. So kann eine Erwartung auf Schmerzlinderung im Gehirn die Ausschüttung von schmerzlindernden Endorphinen anregen und die Weiterleitung von Schmerzreizen im Rückenmark unterdrücken.
Das Gehirn hat selber eine Apotheke
Auch das Immunsystem kann bei Allergien oder einer Autoimmunerkrankung alleine mit einem Placebo gedämpft werden: Wenn ein wirksames Medikament zuvor zusammen mit einem Placebo verabreicht wurde, wird das Gehirn und die Milz so konditioniert, dass auch Noradrenalin zur Dämpfung des Immunsystems ausgeschüttet wird, wenn nur das Placebo eingenommen wird.
Denn: Viele heilende Wirkmechanismen sind im Gehirn selbst angelegt, beziehungsweise können sich mit Impulsen von aussen normalisieren. Zum Beispiel zeigte eine Studie mit Aspirin, dass zwei Stunden nach der Einnahme 24 Prozent der Migräne-Patienten schmerzfrei waren – wenn sie ein Placebo bekommen hatten, waren es 11 Prozent.
Diese 11 Prozent sind die eigentliche Sensation. Und die Wirkung kann viel höher sein, wie in einer Studie mit schmerzstillenden und abschwellenden Mitteln, die bei 73 Prozent der Patienten wirkten. Das Placebo der Kontrollgruppe wirkte in 52 Prozent der Fälle.
Übrigens wirken farbige Pillen besser als weisse, Kapseln besser als Tabletten und noch besser lindern Spritzen mit blosser Kochsalzlösung oder Schein-Operationen gewisse Beschwerden. Placebos von Ärzten verabreicht, wirken besser als solche von Pflegern. Sogar Pferden geht es nach einem homöopathischen Medikament besser: Die positive Haltung des Pflegers bewirkt etwas, was «Placebo by Proxi» genannt wird.
Das sind alles wunderbare Anzeichen, dass sich der Körper zu einem gewissen Grad selber heilen kann. Die Alternativmedizin sollte daher zu ihrem vermutlich besonders starken Placebo-Effekt stehen. Das schadet der Wirksamkeit von Globuli kaum – Studien (zum Beispiel diese) haben nämlich gezeigt, dass Placebo auch wirken, wenn dem Patienten gesagt wird, dass es ein Placebo ist und wie dieser helfen kann.
Placebos sollen offen deklariert werden
Soll die Komplementärmedizin also wieder aus dem Krankenversicherungsgesetz gestrichen werden? Nicht unbedingt: Alternativmediziner decken offensichtlich eine Lücke in der Versorgung ab. Sie bieten etwas, was Ärzte der Schulmedizin nicht bieten – oder zu wenig. Sonst hätten 2009 nicht 67 Prozent der Bevölkerung das Gesetz für die Abrechnung der Komplementärmedizin in der obligatorischen Krankenversicherung angenommen.
Aber wer Geld erhalten will für eine Placebo-Behandlung, sollte dazu verpflichtet werden, dies zu deklarieren. Das wäre nicht nur ehrlicher, es würde auch den Placebo-Effekt aus seinem Schatten-Dasein befreien, und das Image der Komplementärmedizinerinnen verbessern. Eine ihrer Stärken ist, dass sie sich mehr Zeit nehmen (können) für ihre Patienten als Hausärztinnen. Ja, auch Zuhören heilt. Ein Besuch beim Psychotherapeuten wäre kaum billiger.
Es gibt eigentlich nur eine Partei, die dagegen sein kann, Homöopathie als Placebo zu deklarieren: die Hersteller. Diese wollen geschäften, wie die Pharmabranche auch. Und sie lobbyieren ebenfalls stark dafür: So ist sowohl der Lehrstuhl für Komplementärmedizin an der Uni Basel wie auch die Professur für Antrophosophisch erweiterte Medizin an der Uni Bern von Förderern der Komplementärmedizin-Branche finanziert. Und der Konzern Galencia mit Sitz in Bern zum Beispiel baut sein Geschäft mit der Komplementärmedizin gerade aus: Auf rund 350 Millionen Franken wird der Umsatz geschätzt.
Die Hersteller wären die Verlierer, denn etwas, das nicht besser wirkt als ein Bonbon, sollte auch nicht mehr kosten als ein Bonbon.