Bei diesem Kunstwerk wird plötzlich jeder zum Richter
«Ist das Kunst?», fragte man sich im Grossen Rat kürzlich – und auch nicht zum ersten Mal. Beim Kunst-am-Bau- Projekt von Paul Takács für das Bezirksgericht in Lenzburg tönt es jedenfalls lautstark: «Das kann weg!»
Dabei soll es erst noch hin, das heisst, es ist noch gar nicht da. Für 20 Millionen soll das Bezirksgericht einen neuen Bau erhalten, die Kosten dafür sind offenbar aber das geringere Problem als das Werk des Aargauer Künstlers für rund 130000 Franken, das dem Bau vor die Nase gestellt werden soll.
Kunst muss nicht jedem gefallen. Dieses Werk jedoch, so scheint es zumindest ob der häufig angebrachten Einwände, gefällt niemandem so richtig: An der letzten Sitzung im Grossen Rat meinte Karin Koch von der Mitte, dass sie sich noch nicht mit dem Kunstwerk anfreunden konnte. Andreas Fischer Bargetzi von den Grünen hoffe gerade noch, «dass es in natura nicht ganz so schlimm aussehen wird wie in der Visualisierung».
Dem sieben Meter hohen Brocken schlägt Unverständnis entgegen. So viel davon, dass Paul Takács für sein Werk in die Bresche springt und das letzte Mittel wählt: Er erklärt seine Kunst.
Der «Gedankenspeicher», aufgetürmt aus Bruchstein und Mörtel, bewahre die Sorgen und Erwartungen, die jene haben können, die sich schweren Schrittes ins Bezirksgericht hinein, und – im besseren Fall – leichten Herzens wieder hinaus begeben. Provozieren jedenfalls, so der Künstler, soll der Turm nicht.
Vom «Pissoir» bis zum «Kackhaufen»
Der gute Wille nützt nicht viel. Kunst, die dort steht, wo man ihr zufällig und ohne Absicht begegnet, hat es schwer. Kommt sie stolz und aufrecht als Turm daher, noch mehr.
Im Turmbrunnen, der die grossartige Meret Oppenheim den Bernern auf den Waisenhausplatz gestellt hat, auf dem nicht nur Moos, sondern auch Kalk wächst, sahen genervte Reporter einst ein «Pissoir». Und als vor einem Jahr der Schweizer Künstler Urs Fischer seinen «Big Clay #4» in Russland aufgestellt hat – ein unregelmässig angehäufter Turm, der gewisse Ähnlichkeiten hat mit jenem in Lenzburg – sprach ein russischer Komiker aus, was wohl viele dachten: Das Werk sehe aus wie «ein Haufen nicht besonders akkurater Kacke».
Das sind markige Worte, die dem Urteil der hiesigen Hobby-Feuilletonisten des Grossen Rats in Nichts nachstehen. Mit scharfen Zungen, die sich nicht um Verweise zu scheren brauchen, locken sie die Kunstkritik aus ihrem Elfenbein-Turm.
Sie mögen gar vereinfacht sein, populistisch, wenn sie mehr für die Wählerschaft gesprochen wurden, denn für die Debatte. Und doch bringen sie die Kunst dorthin, wo sie doch am liebsten hinwill: in die Öffentlichkeit. Sie machen klar, Kunst hat mit uns zu tun, manchmal muss man sich eben erst an ihr stossen, um dies zu bemerken.