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Die Ehe, ein Fall für Romantiker: Die Schweiz muss ihr Gesetz um die Witwenrente anpassen

Die Schweiz diskriminiert Witwer und muss deshalb ihr Gesetz anpassen. Was einfach tönt, wirft grundsätzliche Fragen zur Ehe auf. Denn sie verliert rechtlich zunehmend an Wert. Doch ist das schlimm? 

Witwer werden in der Schweiz diskriminiert – was man schon lange weiss, ist seit vergangenem Montag höchstrichterlich bestätigt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg hat einem Appenzeller Witwer recht gegeben. Witwer sind gegenüber Witwen in der Schweiz finanziell benachteiligt.

Die heutige Regelung entspricht einem veralteten Familienmodell. Der Mann der Alleinernährer, die Frau schaut zu Hause zum Rechten. Auch die Einführung der Ehe für homosexuelle Paare hat die Absurdität der bestehenden Regelung vor Augen geführt. So erhalten lesbische Paare Zugang zur Witwenrente und werden besser abgesichert im Todesfall als Männerpaare.

Die Schweiz muss ihr Gesetz anpassen. Und mit dem Druck aus Strassburg könnte gelingen, woran die Politik seit Jahren scheitert. Das Parlament ist bereits an der Arbeit. Die Sozialkommission des Nationalrates hat einen ersten Pflock eingeschlagen. Witwenrenten für Kinderlose stehen demnach vor dem Aus. Das ist richtig so. Wer keine Kinder hat, kann einer Erwerbstätigkeit nachgehen und braucht keinen besonderen Schutz.

Die Kommission will, dass Hinterlassenenleistungen nur so lange ausbezahlt werden, bis das jüngste Kind seine Erstausbildung abgeschlossen hat. Und natürlich sollen Witwen und Witwer gleichbehandelt werden. So weit, so gut. Die nationalrätliche Kommission hat aber auch einen bemerkenswerten Zusatz beschlossen. Die Hinterlassenenleistungen sollen Eltern nicht nur unabhängig vom Geschlecht zugutekommen, sondern auch unabhängig vom Zivilstand.

Sprich: Verheiratete und unverheiratete Paare mit Kindern sollen gleichgestellt werden. Der Gedanke dahinter ist nachvollziehbar. Unverheiratete Mütter und Väter sind heute schlecht abgesichert, wenn der Partner stirbt. Bei den Pensionskassen lässt sich die Sache regeln, nicht aber bei der AHV. Der Todesfall des Partners kann so zu einer Armutsfalle werden. Dass die Politik hier ansetzen will, ist richtig.

Nur: Wer an diesem Schräubchen dreht, muss folgerichtig auch ein anderes zwischen die Finger nehmen. Die AHV ist heute nicht zivilstandsneutral ausgestaltet. Denn die Altersrenten werden bei Ehepaaren plafoniert. Sie bekommen «nur» 150 Prozent der Maximalrente.

Das ist ein Nachteil gegenüber Konkubinatspaaren, die zwei Einzelrenten bekommen. Wer also die Hinterlassenenrenten zivilstandsneutral ausgestalten will, muss auch bei den Altersrenten ansetzen. Dazu gibt es zwei Möglichkeiten: den Plafond aufheben, was sehr teuer wäre. Oder den Plafond auch bei Konkubinatspaaren einführen. Ob das mehrheitsfähig ist? Das wird sich schon bald weisen.

Doch das Beispiel der Witwenrente zeigt eben auch, dass die Anpassung des Rechts an gesellschaftliche Veränderungen und neue Lebensformen nicht ganz trivial ist. Und es stellt sich grundsätzlich die Frage, welchen Stellenwert die Ehe überhaupt noch haben soll. Ein über Jahrzehnte hinweg erprobtes rechtliches Institut, allen voran, um Kinder zu haben. Ein staatlicher Rahmen, welcher in der Regel die wirtschaftlich schwächere Person schützt.

Das Bundesgericht hat mit seiner Rechtsprechung zum Unterhalt die Ehe neu definiert. Für Hausfrauen wird es bei einer Scheidung ungemütlich. Die Politik wiederum arbeitet an einer zivilstandsneutralen Politik. Schon geschehen beim Unterhaltsrecht, aktuell debattiert bei der Hinterlassenenrente oder der Individualbesteuerung. Konkubinats- und Ehepaare werden immer gleicher.

Das hat auch damit zu tun, dass jedes vierte Kind ausserhalb der Ehe geboren wird. Und eine Familiengründung ist schliesslich jenes Ereignis, das dazu führt, dass Paare neu definieren, wie sie die Arbeit aufteilen. Die bezahlte auswärts und die unbezahlte zu Hause. Was wiederum einen Einfluss auf die wirtschaftliche Situation hat.

Die Ehe verliert rechtlich an Wert – der Prozess ist in vollem Gange. Vielleicht ist das aber gar nicht so schlimm. Sie wird damit zu dem, was heute schon viele in ihr sehen: ein Fall für Romantiker.