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Konkurs am Schauspielhaus Zürich? Diese Überraschung ist perfekt

Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg haben als Intendanten am Zürcher Schauspielhaus alles falsch gemacht. Schien es. Letztlich schrieben sie aber keinen Verlust. Wie ist das möglich?

Damit hatte nun niemand gerechnet. Der Skandal am Zürcher Schauspielhaus wird vertagt. Das grösste Sprechtheater der Schweiz hat an der gestrigen Generalversammlung die Bilanz von Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg vorgelegt – die Zahlen überraschen. Sie sind, sage und schreibe, das Gegenteil des angekündigten Desasters.

Das Intendantenduo, das nach fünf Jahren vom Verwaltungsrat vorzeitig in die Wüste geschickt wurde, hat in seiner letzten Spielzeit keinen Verlust eingefahren. Das Geschäftsjahr 2023/24 schliesst sogar mit einem, wenn auch unerheblichen, Gewinn. Bilanziert werden 23’506 Franken im Plus.

Vorwürfe und ein angekündigter Skandal

Das Ergebnis überrascht nicht nur, es wirft unbequeme Fragen auf. Wie ist diese Bilanz möglich? Wurde dafür tief in die buchhalterische Trickkiste gegriffen? Oder ist es vielleicht doch nicht wahr, was der Verwaltungsrat letztes Jahr androhte und was gewisse Medien genüsslich während Monaten nachgebetet hatten? Denn es war ein offenes Geheimnis, weil öffentlich davon die Rede war: Das Duo hätte mit seinem als woke verschrienen Spielplan und künstlerisch avancierten neuen Formaten den Konkurs des Hauses riskiert.

Nach dem Offenlegen der Zahlen ist das Aufatmen am Pfauen förmlich hörbar. Verwaltungsdirektor Peter Hüttenmoser bezeichnet die ausgeglichene Rechnung als einen «grossen Erfolg und eine Beruhigung». Wem genau dieser «Erfolg» zu verdanken ist, behält Hüttenmoser allerdings für sich.

Klar ist, die Auslastung liess auch in der letzten Spielzeit von Stemann/von Blomberg merklich zu wünschen übrig. Das wenig ambitionierte Ziel, 2023/24 für sämtliche fünf Bühnen ein Total von 100’000 Karten zu verkaufen, wurde verfehlt. Im Pfauen und im Schiffbau wurden bei insgesamt 418 Vorstellungen lediglich 94’800 Tickets abgesetzt.

Wer allerdings weiss, dass man aus Spargründen mit einem reduzierten Programm vor das Publikum trat, darf sich nicht wirklich wundern. Und leicht geht auch vergessen, dass Auslastungen, wie sie Stemann und von Blomberg angekreidet wurden, zur wechselvollen Geschichte des Hauses gehören.

Die Zahlen bei Barbara Frey waren ähnlich schlecht

Man muss dafür nicht bis zur Direktionszeit des Künstler-Intendanten Christoph Marthaler gehen, der das Haus ähnlich geleert hatte wie die ungeliebte Doppelspitze. Bereits in der jüngeren Vergangenheit, in der Spielzeit 2009/10, lag die Auslastung des Pfauen bei mageren 54 Prozent, 2014/15 bei 55 Prozent. Beide Tiefschläge waren Barbara Frey anzulasten.

Auch bei Stemann und von Blomberg war der Pfauen das Problemkind. Lediglich 53 Prozent (Vorjahr 48 Prozent) aller Plätze waren dort im Durchschnitt pro Vorstellung besetzt. Anders die Lage im Schiffbau, hier lag die Auslastung der Halle bei 86 Prozent (Vorjahr 54 Prozent), in der kleineren Box bei immerhin 79 Prozent (Vorjahr 48 Prozent).

Die marginale, doch klar ersichtliche Zunahme der Auslastung stellt klar: Stemann und von Blomberg waren in der Spielzeit, die ihre letzte werden sollte, im Begriff, die Zuschauer zurückzuerobern. Das Ergebnis ihres Programms, mit dem sie sich um Verjüngung des Publikums und um Diversität bemühten, hatte zu Beginn ihrer Intendanz leere Reihen und Ränge zur Folge. Das ist wahr und nicht zu beschönigen.

Ebenso wahr ist aber auch: Nach dem Schock ihrer neuen Ästhetik und später dann nach dem Schock von Corona, der über das Publikum gekommen war, standen die Zeichen gut. Zürich und die beiden Intendanten hätten längerfristig durchaus zueinanderfinden können.