Weshalb auch ÖV-Fans dem Autobahnausbau zustimmen können – ganz ohne schlechtes Gewissen
In unserem Selbstverständnis ist die Schweiz ein Bahnland. Wir sind stolz, dass wir selbst am Wochenende mit dem ÖV in die abgelegensten Orte kommen; dass die Bahn pünktlich ist, dass die Infrastruktur nicht verlottert wie in Deutschland.
Doch dieser Stolz und dieses Selbstverständnis kontrastieren mit ein paar Zahlen und Fakten. Der Anteil der Personenwagen am Individualverkehr liegt bei 73 Prozent; der ÖV-Anteil bei knapp 21 Prozent. Beim Güterverkehr werden 63 Prozent auf der Strasse abgewickelt. Mit anderen Worten: Die Strasse hat eine überragende Bedeutung im Schweizer Verkehrssystem. Und sie wird auch vom ÖV genutzt.
Am 24. November stimmen wir darüber ab, ob die Schweiz rund 5 Milliarden Franken in ihre Nationalstrassen investiert. Es geht nicht um einen generellen Ausbau. Sondern um sechs Projekte, die dazu dienen, chronisch überlastete Engpässe auf dem Nationalstrassennetz zu beseitigen.
In Basel etwa würde mit dem Rheintunnel der Verkehr auf der Osttangente, die mitten durch die Stadt führt, reduziert. In Schaffhausen bekäme der Fäsenstaubtunnel eine zweite Röhre, damit der Verkehr richtungsgetrennt geführt werden kann. Dieser Tunnel, den pro Tag mehr Autos durchqueren als den Gotthardtunnel, dürfte heute aufgrund gestiegener Sicherheitsanforderungen so gar nicht mehr gebaut werden.
In St.Gallen wiederum will man sich nicht vorstellen, wie der Verkehr die Stadt überschwemmen würde, wenn die beiden bestehenden Röhren des Rosenbergtunnels kernsaniert werden – ohne dass es bis dann die dritte Röhre gibt. Es geht bei der Vorlage also darum, Staus zu beseitigen, aber auch um die Erhöhung der Sicherheit, die Resilienz des Nationalstrassennetzes und eine höhere Lebensqualität in den Quartieren, die vom Ausweichverkehr betroffen sind.
Einzig konsequente Lösung kommt von GLP
Die Autobahnen wurden für eine Schweiz mit einer Bevölkerung von 5,3 Millionen Menschen gebaut. Mittlerweile ist die 9-Millionen-Marke geknackt. Dass die Infrastruktur angepasst werden muss, liegt auf der Hand.
Die Frage ist: Welche Lösungen offerieren die Gegner für die Staus auf der Strasse? Konsequent ist einzig die GLP, sie will mit Mobility Pricing den Verkehr verteuern, so soll die Mobilität verringert werden. Das ist zwar ehrlich, aber nicht sehr sozial. Und wohl kaum mehrheitsfähig.
Und die übrigen Parteien und Verbände aus dem Linksspektrum? Sie schwadronieren von einem «intelligenten Verkehrsmanagement» wie die VCS-Co-Präsidentin Jelena Filipovic in der «Arena» von SRF, ohne erklären zu können, was darunter zu verstehen ist.
Vor allem versuchen die Gegner aus der Vorlage eine ideologische Frage zu machen, für oder gegen das Auto. Als ob sich die Schweizer Bevölkerung so einfach kategorisieren liesse: Velofahrerin, Autofahrerin, Bahnfahrerin. Die Wahrheit ist doch: Die meisten nutzen die verschiedenen Verkehrsträger so, wie sie es gerade am sinnvollsten finden.
Bund finanziert mit Geldern von Automobilisten auch ÖV
In dieser dogmatisch geführten Debatte geht auch unter, dass der Bund tatsächlich die Veränderung des sogenannten Modalsplits anstrebt. Bis 2050 soll der Anteil der Personenwagen sinken und die Nutzung von ÖV, Velo und der eigenen Füsse zunehmen.
Der Bund investiert Milliarden Franken in den Ausbau der Bahn, er unterstützt aber auch Programme von Kantonen und Gemeinden, um den Verkehr in den Agglomerationen besser zu lenken und auf die Siedlungsentwicklung abzustimmen. Da werden etwa Velo-Autobahnen gebaut oder Bus- auf Tramlinien umgestellt. Das Gros der Gelder fliesst auch hier in den ÖV, den Fuss- und den Veloverkehr.
Das Geld stammt aus dem NAF, also demjenigen Topf, den die Automobilisten mit ihren Abgaben speisen. Und mit dem auch die sechs Projekte finanziert werden, über die im November abgestimmt wird.
Auch die Bahn ist vielerorts am Limit
Natürlich ist das Ziel richtig, den Anteil des ÖV zu Lasten des Strassenverkehrs zu erhöhen. Das gilt für den Personen- wie auch den Güterverkehr. Denn Strassen fressen Kulturland, Autos und Lastwagen machen Lärm und vor allem stossen sie viel CO2aus. Sie sind für fast einen Drittel der totalen Treibhausgasemissionen in der Schweiz verantwortlich.
Elektroautos und mit Wasserstoff betriebene Lastwagen werden zwar dafür sorgen, dass die Klimabilanz besser wird. Doch der ÖV ist in der Fläche effizienter. Mehr Menschen werden auf weniger Platz befördert.
Dabei vergessen die Gegnerinnen der Vorlage gerne: Auch die Bahn ist vielerorts am Limit. Deren Ausbau braucht ebenso Zeit. Und nicht immer ist die Bahn die Lösung, etwa bei der Feinverteilung von Gütern. Man wird den Verdacht nicht los: Die Gegner setzen einzig darauf, dass die Leute die Lust am Auto verlieren, je länger sie im Stau stehen. Es soll ihnen einfach verleiden. Das ist eine Bankrotterklärung.