Zu viele Hitzewarnungen? Das Wetter ist jedenfalls kein lockeres Gesprächsthema mehr
Es hatte lange etwas Beschauliches, wie sie da auf dem Dach des Fernsehstudios stehen und uns das Wetter vorhersagen. Der Beruf des «Wetterfrosches» wurde belächelt. Das Wetter war das, worüber man immer sprechen konnte, wenn Religion, der eigene Lohn oder die politische Gesinnung zu heikel waren. Vergangene Zeiten.
Das Wetter ist hochpolitisch geworden. Und der Meteorologe ein Aktivist gegen den Klimawandel. Diesen Eindruck zumindest bekommt man nach Meldungen wie letzte Woche aus den USA, wonach der langjährige Wetterfrosch Chris Gloninger seinen Job beim Sender KCCI in Iowa gekündigt hat, weil er genug vom Shitstorm rechtskonservativer Zuschauern hatte – Todesdrohungen inklusive.
In der Schweiz regte sich unlängst Roger Köppel in seiner «Weltwoche Daily»-Sendung über «Hitze-Panik auf allen Kanälen» auf. Diese werde von den Grünen politisch instrumentalisiert. Und Parteikollege Christoph Mörgeli twitterte am Sonntag: «Einfach nur krank, diese Hitze-Hysteriker!», weil ihm Meteo Schweiz eine Warnmeldung geschickt hatte.
Studien haben bewiesen, dass es bei Hitze automatisch zu mehr Aggressionen kommt. Jedenfalls haben sich laut Patrick Stierli, Meteorologe bei Meteo Schweiz, die Regeln, wann eine Hitzewarnung rausgeht, in den letzten Jahren nicht geändert. Im Durchschnitt gehen jährlich 53 Unwetterwarnungen raus, davon nur 5 der Stufe 4 – wie diesen Dienstag.
Auf fünf Millionen Geräten sind die Push-Nachrichten von Meteo Schweiz abonniert, versendet wurden letztes Jahr 484 Millionen Nachrichten. Die Abonnentenzahlen steigen seit Jahren. Aber auch die Gewitter nehmen zu, und damit wären wir beim Klimawandel: Michael Eichmann, Meteorologe bei Meteonews, sagt, Anhand einer Woche mit vielen Gewittern könne man keine Aussage übers Klima machen. «Aber über mehrere Jahre hinweg kann man feststellen, dass mit dem Klimawandel das Unwetterrisiko und die Extremereignisse im Allgemeinen steigen.» Wie Atmosphärenforschende und Statistiker der Universität Innsbruck zeigten, hat sich die Zahl der Blitze in den Hochalpen seit 1980 verdoppelt. Ausserdem beginnt die Gewittersaison früher im Jahr und endet später, wie der «Tages-Anzeiger» berichtet.
Die Meteodienste sagen, man versuche die Meldungen nüchtern zu halten, es seien eher gewisse Medien, die Alarmismus verursachten. Und man sei sich bewusst, dass nicht zu viel gewarnt werden könne, weil sonst die Leute die Meldungen nicht mehr ernst nähmen. So wird sich die Zahl der Hitzewarnungen vielleicht auch in Zukunft nicht erhöhen – es wird künftig einfach noch heisser sein müssen, damit gepusht wird, weil Tage mit über 30 Grad Normalität werden.
Man kann die heutigen Warnungen übertrieben finden. Viele sind offenbar froh drum – siehe Abonnentenzahlen. Bedenklich ist viel mehr, dass das Wetter vom Plauderthema zu einem Tabu wird wie Religion, Politik und Impfstatus. Die einen beelendet es, weil Hitze immer auch ein Anzeichen der massiven globalen Veränderung sein könnte, die anderen erbost es, weil sie die Veränderung immer noch nicht wahrhaben wollen. Beides bringt uns nicht weiter: das Schweigen und das Leugnen.
Dass Meteo-Warnungen kritisiert werden, kann jedenfalls nur in einer sehr städtischen Bevölkerung passieren. Also dort, wo bloss der Basilikum auf dem Balkon verdorrt ist, wenn man aus dem klimatisierten Büro heimkehrt und sich darüber ärgert, dass man just auf den paar Schritten zum Haus von einem Regenguss erwischt wurde. All jene, die ein bisschen Naturkontakt haben, spüren die Folgen der Hitze so oder so.
Der gekühlte Aperol Spritz schmeckt trotzdem super, wenn sich nach einem Hitzetag die schönste Entspanntheit ausbreitet. Denn die Realität anzuerkennen, muss nicht bedeuten, die guten Momente nicht mehr zu geniessen. Dass ein Hitzetag am Mittag bedrohlich und abends herrlich ist, ist ein Zwiespalt, mit dem wir umgehen lernen müssen. Sich über Hitzewarnungen aufregen und Wetterfrösche grillieren hilft dabei eher nicht.