Elton John in Bern: «Still standing», wenn auch tapsig wie ein Bär
Immer wieder hält er nach seinen zwei Dutzend Liedern inne, bedankt sich, lächelt versonnen – und breitet seine Arme zur umarmenden Geste aus. Elton John, 75, scheint happy, er ist am Ziel angekommen: endlich mit sich im Reinen. Im Berner Wankdorf-Stadion mit 21’000 Zuschauern bereits nach wenigen Minuten, trotz heftigen Regens gleich zum Start. Im Leben erst unlängst.
Der englische Pianist und Sänger will sich nach rastlosem Leben mit Mann David und seinen beiden Söhnen zur Ruhe setzen. Er sagt: «Als ich 15 Jahre alt war, habe ich ein Vagabunden-Leben begonnen. Jetzt ist aber genug.» Deshalb tingelt er nach zwei Jahren krankheits- und coronabedingten Unterbruchs nochmals ausgiebig durch die grossen Stadien dieser Welt.
Zweieinhalb Stunden Vollgas
Die Abschieds-Tour lebt vom Vollgas, fast zweieinhalb Stunden. Es sind Melodien für die Millionen, die Elton John da zum fröhlichen Mitsingen von der Bühne kippt: «Don’t Let the Sun Go Down on Me», «I’m Still Standing» bis zu seinem jüngsten, modern adaptierten Dancehit «Cold Heart (Pnau Remix)». Dazu laufen auf drei Leinwänden bunte Videos und selbstironisch montierte Ausschnitte aus Elton Johns schrillem Bühnenleben.
Er gibt mit seiner versierten Band auch in Bern alles für seine Fans: Dramaturgisch gekonnt steigert Elton John sich von Balladen wie «Candle In The Wind» – wie im 1973er-Original für Marilyn Monroe gesungen – zu rockigen Hits wie «Rocket Man» oder «Crocodile Rock». Zwischendurch wirkt er tapsig wie ein alter Bär – aber hey: Was für eine Legende! 4200 Konzerte, weit über 350 Millionen verkaufte Platten und 50 Hits. Sein erster stammt von 1970: «Your Song», es ist die Essenz. Das Liebeslied ist heute sein Dank an die zahllosen Fans, wie wundervoll das Leben ist, wenn ein Gegenüber da ist.
Elton John ist seit 56 Jahren immer in Action. Stets suchte er nach grossen Gefühlen, die er in Songs für die Ewigkeit destillierte. Doch er litt an der Kälte seiner Lover, seiner Eltern, der Manager oder auch von Tina Turner, mit der er einst touren sollte. Er stürzte sich in Kaufräusche, fand Halt beim Aufputschen – manchmal alle fünf Minuten eine Linie Koks, um die Einsamkeit fern zu halten. Süchte ohne Ende, alles im Exzess, auch 1400 Meetings für anonyme Alkoholiker, Drogen- und Esssüchtige. Nachzulesen in seiner radikal ehrlichen Autobiografie «Ich Elton John». Hautnah zu sehen im berührenden Biopic «Rocket Man».
Aufhören, wenn es am schönsten ist
Nicht dass er nur harmoniesüchtig wäre, nein: Elton John kann auch austeilen, sagte er doch über Rolling-Stones-Dinosaurier Keith Richards, er sehe aus wie «ein Affe mit Arthritis». Zwei Wochen vor dem Schweizer Stones-Gig schien Elton John angespornt, zu beweisen, dass er auch noch mächtig rocken kann. Und immer wieder bewies er trotz Übergewicht und klobigen Fingern, gar ein agiler Boogie-Pianist zu sein.
Man merkt, auf den Bühnen ist Elton John daheim. Er schrieb in seiner Autobiographie: «Egal, welches Chaos mich gerade umgibt, mit einem Mal fällt alle Last von mir ab. Die Bühne ist der einzige Ort, an dem ich wirklich das Gefühl habe, alles unter Kontrolle zu halten.»
Doch er will aufhören, wenn es am schönsten ist. Dies war sein 33. Auftritt in der Schweiz, selten war es fröhlicher und bunter (auch wegen der vielen Regenpelerinen). Nur noch zwei Konzerte wird es hierzulande geben: Elton John macht am 10. Mai und 23. Juli im Zürcher Hallenstadion nochmals Boxenstopp – beide Male leider ausverkauft.