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«Korrupt oder total inkompetent»: Offizielle Schweiz ist empört über Vorwürfe gegen den Finanzplatz

In Washington wird harte Kritik am Kurs der Schweiz im Ukraine-Krieg geäussert. Ein namhafter Putin-Kritiker will gar die Kooperation zwischen den beiden Ländern auf den Prüfstand stellen.

Ignazio Cassis hätte sich den Protestanruf beim US-Aussenminister sparen können. Denn die Informationsveranstaltung einer staatlichen amerikanischen Kommission, über die sich der Bundespräsident zu Wochenbeginn präventiv bei seinem Washingtoner Amtskollegen Antony Blinken beschwert hatte, warf am Donnerstag kein neues Licht auf die angebliche Kooperation des Finanzplatzes Schweiz mit dem Kreml. Auch wurde der zumindest in der schriftlichen Einladung geäusserte Verdacht, dass die Schweizer Justiz sich am Gängelband der russischen Regierung befinde, nicht weiter untermauert.

Das wiederum will nicht heissen, dass während der 60 Minuten langen Onlineveranstaltung der Helsinki Commission ein nettes Bild der Schweiz gezeichnet wurde. Vor allem der Investor Bill Browder, heute einer der führenden Kritiker des russischen Präsidenten Wladimir Putin im Westen, liess keine Gelegenheit aus, die angeblichen Sünden der offiziellen Schweiz zu beschreiben. So sprach er über die Russland-Abenteuer des ehemaligen Bundesanwalts Michael Lauber, eine Geschichte, die sich vornehmlich im letzten Jahrzehnt abspielte. Und darüber, wie die Strafverfolgungsbehörden der Schweiz regelmässig Partei für russische Oligarchen ergreifen würden. Den Hauptvorwurf, dass die Schweizer Justiz entweder korrupt oder «total inkompetent» sei, konnte Browder allerdings nicht belegen.

Dies hielt Browder, Kopf der weltweit tätigen Magnitski-Gerechtigkeitskampagne, nicht davon ab, Forderungen zu stellen. Laubers Nachfolger Stefan Blättler sagte kürzlich während einer Bilanzpressekonferenz, seine Behörde funktioniere gut und sei gut geführt, eine grundlegende Reform sei deshalb nicht angezeigt. Doch Browder schleuderte schwere Vorwürfe in Richtung Blättler: «So räumt man eine schmutzige Situation nicht auf.» Browder verwiese dabei auf die beiden Blättler-Stellvertreter, die bereits unter Vorgänger Lauber gewirkt hatten. (Die Medienstelle der Bundesanwaltschaft wies diese Vorwürfe in einer langen Stellungnahme entschieden zurück.)

Auch schlug der Financier vor, die Zusammenarbeit der amerikanischen Ermittlungsbehörden mit dem Bundesamt für Justiz und Bundeamt für Polizei zu überprüfen. Vielleicht, sinnierte Browder, hätten die Schweizer Behörden das Vertrauen nicht mehr verdient, das ihnen von Washington entgegengebracht werde. Und: Vielleicht gehöre die Schweiz «in eine andere Kategorie» als Staaten wie Kanada, mit denen Amerika eng befreundet ist. In einem anderen Zusammenhang erwähnte Browder die schwarzen Listen, mit denen Amerika und Europa der Schweiz in der Vergangenheit in Finanzfragen immer wieder gedroht hatten – das war allerdings vor der Einführung des automatischen Informationsaustausches.

Neuer Anlauf beim Geldwäschereigesetz gefordert

Konstruktiver waren da die Ausführungen des Schweizer Podiumsteilnehmers Mark Pieth gehalten. Der Basler Korruptions-Experte wies auf die 2021 am Widerstand der Anwälte gescheiterte Reform des Geldwäschereigesetzes hin. Er sagte, es sei unerlässlich, dass in der Schweiz künftig auch Anwälte den Vorschriften unterstellt würden. Ein Sprecher des Staatssekretariates für internationale Finanzfragen, das zum Departement von Finanzminister Ueli Maurer gehört, sagte dazu am Donnerstag: «Wir beabsichtigen, noch dieses Jahr mit der Branche Kontakt aufzunehmen, um Lösungsansätze zu diskutieren.»

Pieth sprach sich zudem dafür aus, dass die Regierung von Präsident Joe Biden Druck ausübe, damit das Schlupfloch Schweiz für sanktionierte russische Oligarchen geschlossen wird. Am einfachsten wäre es natürlich, wenn sich Bern den westlichen Arbeitsgruppen anschliessen würde, die weltweit Jagd auf Vermögenswerte von Putin-Verbündeten machen. Der Schweiz, sagte Pieth im Anschluss an die Veranstaltung im Gespräch mit CH Media, könnte die Mitarbeit in einer solchen Taskforce aber Kopfzerbrechen bereiten – weil Washington wohl wenig Verständnis zeigen würde, wenn die Schweiz mit Verweis aufs Bankgeheimnis und aufs Anwaltsgeheimnis auf die Bremse treten würde.

Schweiz ist «äusserst unangenehm überrascht»

Bei der Helsinki Commission handelt es sich um ein unabhängiges staatliches Gremium, das dem amerikanischen Parlament nahesteht, auch wenn es über das Budget des Aussenministeriums finanziert wird. Die Anhörung vom Donnerstag, so harsch der Tonfall über den Finanzplatz Schweiz auch ausfiel, wird deshalb wohl keine direkten Folgen auf die bilateralen Beziehungen zwischen Washington und Bern haben. Ein führendes Mitglied der Helsinki Commission, der republikanische Senator Roger Wicker, kündigte allerdings an, dass er das Thema aufs Tapet bringen werde, wenn er diesen Monat ans WEF nach Davos reise.

Auf offene Ohren wird er dabei nicht stossen. Bundesratssprecher André Simonazzi sagte am Donnerstag in einer Stellungnahme, die Schweiz sei «äusserst unangenehm überrascht», dass diese Informationsveranstaltung überhaupt stattgefunden habe.