Steigende Prämienbelastung: Darum nimmt die Politik die Kantone ins Visier
Die 2020 eingereichte Volksinitiative der SP verlangt, dass Prämien der obligatorischen Krankenpflegeversicherung nicht mehr als zehn Prozent des verfügbaren Einkommens betragen dürfen. Dafür soll die individuelle Prämienverbilligung zu mindestens zwei Dritteln durch den Bund und der verbleibende Betrag durch die Kantone finanziert werden.
Im Nationalrat hatte das Volksbegehren einen schweren Stand. Nach einer mehrstündigen Debatte über zwei Tage lehnte die grosse Kammer die Initiative mit 121 zu 67 Stimmen ab. Besonders in den bürgerlichen Reihen war die Skepsis gross.
«All-Inclusive-Buffet»
Mehrere Redner orteten einen Fehlanreiz bei der Deckelung der Prämienbelastung. Dafür kriege jemand «ein All-Inclusive-Buffet» bei der Gesundheitsversorgung, spitzte es Jörg Mäder (GLP/ZH) zu. Ein Dorn im Auge ist ihm auch die Verlagerung auf die Bundesebene. Dadurch sinke der Druck auf die Kantone, die ja für die Gesundheitsversorgung zuständig seien.
Für Regine Sauter (FDP/ZH) zielt die Initiative am eigentlichen Ziel vorbei. Steigende Prämien seien das Ergebnis steigender Kosten. «Dort müssen wir ansetzen.» Noch immer würden «zu viele und unnötige Behandlungen» bezahlt, die den Patienten überhaupt nichts brächten. Es sei keine Lösung, «einfach Geld zu verteilen». Verena Herzog (SVP/TG) geisselte das Volksbegehren als «typische Umverteilungsinitiative der SP».
Belastung nicht «mehr tragbar»
Für die Initiative weibelte wie erwartet die Ratslinke. Die Belastung für Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen sei nicht «mehr tragbar», wenn sie bis zu einem Fünftel des Haushaltsbudgets für die Prämien ausgeben, betonte Barbara Gysi (SP/SG). Katharina Prelicz-Huber (Grüne/ZH) kritisierte, dass die Prämien pro Kopf bezahlt würden. «Alle – egal mit welchem Lohn – bezahlen gleich viel.»
Mattea Meyer (SP/ZH) rief in Erinnerung, bei der Einführung der obligatorischen Krankenversicherung sei vereinbart worden, dass die Prämienbelastung nicht 8 Prozent des verfügbaren Einkommens übersteigen dürfe. Heute seien es 14 Prozent. Das Parlament müsse sein Versprechen aus den 1990er-Jahren «endlich» einlösen.
Handlungsbedarf unbestritten
Viele Rednerinnen und Redner anerkannten, dass die Krankenkassenprämien die Schweizer Haushalte zunehmend belasten. Eine Mehrheit möchte mit einem indirekten Gegenvorschlag Gegensteuer geben. Die Kantone sollen einen minimalen Gesamtbetrag für die Prämienverbilligung einsetzen müssen. Für Ruth Humbel (Mitte/AG) ist eine Finanzierung über diesen Weg zielführend, weil auch die Kantone in die Pflicht genommen werden.
Im Visier hat die Politik vor allem jene Kantone, die trotz steigender Gesundheitskosten ihren Beitrag an die Prämienverbilligung nicht im gleichen Masse erhöht haben wie der Bund. Ein Blick auf die Zahlen zeigt: Die Bandbreite ist gross. Die Anteile der einzelnen Kantone an den Gesamtkosten variieren zwischen 12 und 67 Prozent.
Allerdings ist der Nationalrat nicht vollends zufrieden mit dem indirekten Gegenvorschlag, wie ihn der Bundesrat ausgearbeitet hat. Er möchte, dass die Kantone die Verlustscheine für nicht bezahlte Prämien und Kostenbeteiligungen anrechnen können. Ausserdem soll die Prämienverbilligung für Bezüger von Ergänzungsleistungen separat finanziert werden.
Auch bei den Befürwortern der Initiative stösst der Gegenvorschlag auf Wohlwollen. Dadurch könnten die Betroffenen «rasch und wirksam» entlastet werden, sagte Meyer. Ob die Initianten ihr Begehren zurückziehen, blieb offen. Es sei bestimmt eine Überlegung wert, erklärte Pierre-Yves Maillard (SP/VD), der selbst im Initiativkomitee sitzt.
«Placebo» mit «gigantischen Mehrkosten»
Einzig die SVP stellte sich gegen den Gegenvorschlag. Andreas Glarner (AG) warf dem Nationalrat vor, es «mit einem neuen Placebo» zu versuchen. Wenn jemand anders bezahle, werde der Druck auf die Prämienzahler sinken und die Kosten «munter weiter explodieren». Ausser «gigantischer Mehrkosten» würden weder die Initiative noch der Gegenvorschlag etwas bringen.
Tatsache ist: Auch der Gegenvorschlag kostet. Insgesamt rechnet die vorberatende Kommission des Nationalrates mit Mehrkosten für Bund und Kantone von 2,2 Milliarden Franken. Das ist rund die Hälfte dessen, was die Initiative kosten würde. Dieses Geld wollte auch der Nationalrat in die Hand nehmen. Er sprach sich mit 119 zu 66 Stimmen bei 2 Enthaltungen für den Gegenvorschlag aus. Nun geht die Vorlage an den Ständerat.