Kantönligeist wichtiger als Gesundheit: Parlament hält an schwarzen Listen fest
Wer seine Krankenkassenprämie nicht bezahlt und erfolglos betrieben wurde, landet in gewissen Kantonen auf der sogenannten schwarzen Liste. Diese Personen haben nur noch Anspruch auf Notfallbehandlungen. Sinn dieser Regelung ist es, Druck auf säumige Prämienzahler auszuüben. Solche Listen kennen heute noch die Kantone Aargau, Luzern, Tessin, Thurgau und Zug.
Dabei bleibt es – zumindest wenn es nach dem Parlament geht. Nach dem Ständerat hat am Donnerstag auch der Nationalrat beschlossen, den Kantonen weiterhin die Möglichkeiten einzuräumen, schwarze Listen zu führen. Der Entscheid fiel knapp aus – mit 98 zu 92 Stimmen bei 2 Enthaltungen.
Kein Freipass zum Nichtzahlen
Für Christian Lohr (Die Mitte/TG) haben die schwarzen Listen zu unrecht einen schlechten Ruf. Er verwies auf die guten Erfahrungen im eigenen Kanton. Die Liste böte Menschen eine «gute Chance», aus dieser «negativen Spirale» herauszukommen. Therese Schläpfer (SVP/ZH) betonte, es gehe nicht darum, mit dem Finger auf Menschen zu zeigen.
Lohr führte auch die Solidarität ins Feld. Es sei «himmeltraurig», dass viele Menschen auf diesen Listen ihre Prämien eigentlich bezahlen könnten. «Man reizt das System aus.» Er wolle «keinen Freipass zum Nichtzahlen» geben.
Viel Leid und wenig Nutzen
Yvonne Feri (SP/AG) liess das nicht gelten. Dass Menschen ihre Prämien nicht bezahlten, habe wenig mit «schlechter Zahlungsmoral» zu tun. «Viele Menschen kommen nur knapp über die Runden.» Schwarze Listen würden dagegen «viel Leid» verursachen und nichts bringen.
Für Feri geht es nicht, dass fünf Kantone rund 35’000 Menschen den in der Bundesverfassung garantierten Zugang zur Gesundheitsversorgung verwehrten. Jörg Mäder (GLP/ZH) ergänzte, Gesundheit als Druckmittel einzusetzen, sei das «falsche Mittel». Auch wunderte er sich über das «seltsame Verständnis», wenn Gesundheit als «Notfall: Ja oder Nein» definiert werde.
Was ist ein Notfall?
Geklärt hat das Parlament, wann ein Notfall vorliegt. Es knüpft dies an die Bedingung, dass eine Person ohne sofortige Behandlung gesundheitliche Schäden oder den Tod befürchten muss oder die Gesundheit anderer Menschen gefährden kann. Heute gibt es schweizweit keine einheitliche Definition.
2018 sorgte der Fall eines Krankenversicherers für Schlagzeilen, der sich weigerte, die Kosten für eine Geburt zu übernehmen, weil die Mutter auf der schwarzen Liste figurierte. Die Richter des St.Galler Versicherungsgerichts kamen zum Schluss, dass eine zu enge Auslegung des Notfallbegriffs eine umfassende medizinische Grundversorgung aushöhle. Am Ende musste der Versicherer die Kosten übernehmen.
Parlament zeigt Herz für Kinder
Einig war sich das Parlament auch, dass Minderjährige nicht mehr haftbar gemacht werden sollen, wenn ihre Eltern die Krankenkassenprämien nicht bezahlen. Auch sollen diese nicht mehr auf den schwarzen Listen erscheinen. Der Thurgau führte bis Ende 2020 als einziger Kanton Minderjährige auf.
Der Nationalrat möchte in dieser Frage noch einen Schritt weitergehen. Auch junge Erwachsene, die noch in der Ausbildung sind, sollten nicht für ihre Prämienschulden belangt werden können. Angepasst hat die grosse Kammer den Entwurf auch in einem anderen Punkt: Um neue Schulden aufgrund bestehender Betreibungen zu vermeiden, sollen die Prämien vom Lohn abgezogen und an den Versicherer überwiesen werden können. Nun geht das Geschäft zurück an den Ständerat.
Gefahr für die öffentliche Gesundheit
Mit der Gesetzesrevision kommt die Politik auch Empfehlungen der zentralen Ethikkommission der Schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften nach. Bund und Kantone müssten ihren Umgang mit säumigen Prämienzahlern überprüfen, kam die Kommission in einer Studie zum Schluss.
Gerade bei Infektionskrankheiten führe ein eingeschränkter Zugang zu medizinischen Leistungen zur Weiterverbreitung der Krankheit. Leistungssperren seien somit nicht nur ein Problem für die Betroffenen selbst, sondern auch eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit, konstatieren die Wissenschafter. Solche Massnahmen seien aber auch aus ethischen Gründen nicht vertretbar.