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«Damit helfen Sie nur Russland», warnte Jans – doch das Parlament schränkt den Schutzstatus S ein

Nach dem Ständerat zieht nun auch der Nationalrat die Schraube beim Schutzstatus S an. Es soll ihn nur noch für Ukrainer geben, die aus von Russland besetzten respektive umkämpften Gebieten in die Schweiz kommen.

Nach Norwegen wird die Schweiz das zweite Land in Europa, das die Ukraine rechtlich in zwei unterschiedliche Gebiete einteilen wird. Nach dem Ständerat hat am Montagabend auch der Nationalrat entschieden, den Schutzstatus S für ukrainische Flüchtlinge einzuschränken. Aktuell leben 67’000 Ukrainerinnen und Ukraine mit dem Schutzstatus S in der Schweiz. Dieser erlaubt es Geflüchteten, ins Ausland zu reisen oder auch hier zu arbeiten.

Lanciert hatte die Änderung Esther Friedli. Die St. Galler SVP-Ständerätin forderte in einer Motion, dass der Schutzstatus S auf «wirklich Schutzbedürftige» beschränkt wird. Konkret sollen ihn nur noch Personen erhalten, die ihren letzten Wohnsitz in ukrainischen Regionen hatten, die ganz oder teilweise durch Russland besetzt sind oder in denen mehr oder weniger intensive Kampfhandlungen stattfinden. «Es gibt immer mehr Fälle von Flüchtenden, die den Schutzstatus S beantragen, aber gar nicht an Leib und Leben bedroht sind», begründet Friedli ihr Vorgehen. Gleichzeitig kämen in der Schweiz Gemeinden und Schulen an den Anschlag. Der Nationalrat stimmte dieser Forderung mit 96 zu 87 Stimmen zu. SVP und FDP sagten fast geschlossen Ja – dazu kamen sieben Stimmen vom konservativen Flügel der Mitte-Partei. Abgelehnt hat der Rat dagegen die Forderung, dass der Schutzstatus S für Personen aus diesen Regionen aufgehoben wird.

Zusatzbelastung für das Asylsystem

Justizminister Beat Jans sprach den Nationalrätinnen und Nationalräten vergebens ins Gewissen. «Es gibt keine sicheren Gebiete in der Ukraine», sagte er. Auch weit entfernt von der Front komme es immer wieder zu russischen Angriffen mit Bomben, Raketen und Drohnen. «Diese fordern auch in Kiew oder im Westen der Ukraine immer wieder Todesopfer, wie etwa bei einem Angriff auf Lwiw im September, bei dem sieben Personen ums Leben kamen, darunter auch Kinder». Er folgerte: «Diese Motion hilft letztlich nur Russland.» Das Signal an Russland wäre klar: «Die Schweiz steht nicht mehr zur Ukraine und deren Bevölkerung. Damit legitimiert sie den Aggressor und die wahllose Gewalt gegen ukrainische Frauen, Kinder und Männer.» Für den Bundesrat ist daher klar: Schutzbedürftige aus allen Regionen der Ukraine müssen weiterhin unseren Schutz erhalten.

Jans erinnerte daran, dass dieser Krieg ein Angriff auf die regelbasierte Weltordnung sei, auf der unsere eigene Sicherheit gründe. Die Schweiz sei deshalb mit der ukrainischen Zivilbevölkerung solidarisch und stelle sich mit den anderen europäischen Ländern gegen diese Invasion.

Schliesslich machte Jans aber auch praktische Gründe gegen eine Unterscheidung nach Herkunft geltend: «Das Asylsystem wird zusätzlich belastet», sagte Jans. Wer vom Schutzstatus S ausgeschlossen ist, könne nämlich ein Asylgesuch stellen. Das heisst, der Bund müsste ein aufwendiges Asylverfahren durchführen, was wieder zu mehr Pendenzen führt. Das Verfahren dürfte in der Regel mit einem negativen Entscheid enden. Trotzdem könnten die Geflüchteten voraussichtlich nicht ins Kriegsgebiet zurückgeschickt werden. Sie müssten also vorläufig aufgenommen werden.

SVP- und FDP-Departemente gegen den Vorstoss

All diese Warnungen schlug der Nationalrat in den Wind. Interessant dabei ist, dass auch die Departemente von SVP-Bundesrat Guy Parmelin und FDP-Bundesrat Ignazio Cassis nicht glücklich mit der Motion waren. Der «Blick» hatte am Freitag entsprechende verwaltungsinterne Dokumente publik gemacht. Der Formulierung, dass die Einschränkung des Schutzstatus S von der EU als unsolidarisch aufgefasst würde und diese im «Widerspruch zum Engagement der Schweiz für Frieden in der Ukraine» stünde, stimmten sie zu.

Tatsächlich dürfte die EU nicht erfreut sein über den Alleingang der Schweiz. Der Bundesrat hatte sich bei der Einführung des Schutzstatus S an der EU orientiert und immer wieder betont, wie wichtig ein koordiniertes Vorgehen sei. Der Bundesrat muss die Motion nun umsetzen. Er rechnet damit, dass die zeitlich unkoordinierte und partielle Aufhebung des temporären Schutzes dazu führt, dass Geflüchtete aus der Ukraine in andere Länder Europas weiterreisen. Die Verminderung von Sekundärmigration und Vermeidung von zusätzlichen Belastungen der Aufnahmesysteme seien aber gemeinsame Ziele der Schweiz und der EU, wie er in der Antwort auf den Vorstoss von Friedli schrieb.

Angenommen hat der Nationalrat – wie schon der Ständerat – zudem eine Motion von Benedikt Würth (Mitte/SG). Demnach soll nicht mehr vom Schutzstatus S profitieren können, wer die Schweiz für eine bestimmte Zeit verlässt, beispielsweise für zwei Wochen.