Plünderungen sind in der Ukraine an der Tagesordnung – und das Diebesgut lässt sich bis nach Sibirien verfolgen, auch wegen einer russischen Bloggerin
Die russische Journalistin und Bloggerin Iryna Shikhman (38) hat wohl nicht schlecht gestaunt. Eigentlich wollte sie nur ein «trauriges» Video ihres Projekts «Sollten wir reden?» auf Instagram und auf ihrem Youtube-Kanal veröffentlichen – und dabei auf das Leid der Angehörigen von im Krieg gegen die Ukraine getöteten Soldaten aufmerksam machen. Dann erntete sie, zumindest aus dem Westen, einen veritablen Shitstorm.
In Shikhmans Video dreht sich alles um die Angehörigen eines russischen Soldaten mit dem Namen Ilja Vasilenko, der bereits am zweiten Tag der russischen Invasion in der Ukraine gestorben war. Shikhman besuchte Vasilenkos trauernde Angehörige im russischen Dorf Chunsky, das im Oblast Irkutsk liegt – also im tiefsten Sibirien am Abfluss des Baikalsees, mehr als 4500 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt.
«Befreier» als Plünderer entlarvt?
Im Video klagt die Pflegemutter des getöteten russischen Besatzers dann über die fehlende staatliche Entschädigung für die Hinterbliebenen. Der Film heisst darum auch: «Sie gaben nur Geld für seinen Sarg und den Grabstein. Wie bekommt eine russische Familie eine Entschädigung für den Tod eines Soldaten?» Die Journalistin sagt dann während des Films, dass die russischen Behörden im Falle des Todes eines Soldaten im Krieg, nur an Eltern, Kinder oder die Ehefrau des Verstorbenen zahlen würden, nicht jedoch an Pflegeeltern. Diese hätten keinen Anspruch auf eine Auszahlung.
Als ukrainische Journalisten das Video begutachteten, fiel ihnen dann jedoch auf, dass die Familie des Umgekommenen wohl trotzdem noch auf eine andere Art und Weise für ihren Schmerz «entlöhnt» wurde. Denn auf dem Filmmaterial ist in der Küche der trauernden Pflegemutter auch ein neuwertiger Kühlschrank zu sehen, mit einem «2 Jahre volle Garantie»-Aufkleber auf ukrainisch angeschrieben. Der Kühlschrank muss also aus der Ukraine stammen, mutmasslich wurde er von russischen Truppen gestohlen.
Ukrainische Medien sehen den toten Vasilenko nun als Plünderer entlarvt. Bloggerin Shikhman meldet sich derweil auf Instagram und hat mehrere Erklärungen: «Ilya Vasilenko starb am 25. Februar. Es ist unwahrscheinlich, dass er Zeit haben würde, zur Post zu gehen oder so etwas zu organisieren», schreibt sie, wobei es nicht zwingend ist, dass er selbst den Kühlschrank nach Sibirien geschickt hat. Weiter schreibt sie: «Ich selbst komme aus Sibirien. Wir haben dort viele günstige Baumärkte.»
Zahlreiche Berichte über Plünderungen in besetzten Gebieten
Der Vorwurf, dass der Kühlschrank Diebesgut ist, ist jedoch nicht abwegig. Denn der russische Angriffskrieg in der Ukraine ist auch ein Raubzug sondergleichen. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch oder Amnesty International werfen der russischen Armee neben anderen Kriegsverbrechen auch Plünderungen vor.
Von den Armeeangehörigen wird so gut wie alles mitgenommen: Unterwäsche, Lebensmittel, Kinderspielzeug, Laptops, Autos, Waschmaschinen – oder eben auch Kühlschränke. Etliche Soldaten schicken das Diebesgut dann in ihre Heimat. Auch fand man Diebesgut wie Bargeld oder Schmuck aus besetzten Gebieten bei getöteten russischen Soldaten, wie unter anderem das osteuropäische Medium «Nexta» berichtete.
Ende März veröffentlichte der ukrainische Geheimdienst (SBU) ein abgehörtes Telefongespräch zwischen einem sich in der Ukraine befindenden russischen Soldaten und seiner Frau. Darin erzählt der Mann, dass er Kosmetikartikel und Turnschuhe erbeutet habe. Die Frau erinnert den Soldaten dann daran, dass die Tochter noch einen Laptop brauche.
Ukrainerinnen und Ukrainer nehmen die Posse mit dem Kühlschrank in Sibirien indes mit Humor, zumindest Online. Blogger und TV-Moderator Ivan Marunych schrieb dazu auf Facebook: «Was ist der Unterschied zwischen einem Kühlschrank und einem Besatzer? Der Kühlschrank hält länger.»