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In der Krise hilft Meditieren nur wenig – das Zauberwort heisst Zuversicht

Achtsamkeit gilt heute als besonders effektive Strategie im Umgang mit Stress. Eine US-Studie zeigt jedoch, dass Hoffnung die bessere Alternative sein kann.

Man lenkt den Fokus auf den Moment, ist ganz im Hier und jetzt. Diese Achtsamkeits-Methode soll bei verschiedensten Problemen und in stressigen Situationen helfen. Aber vielleicht nicht, wenn die Krise akut und real ist?

Das Forschungsteam um Kristin Scott von der Clemson University in South Carolina rekrutierte 247 Musiker und andere Mitarbeiter von Musikproduktionen, um sie in einem Zeitraum von 18 Monaten während der Corona-Krise nach ihrer Denkweise, ihren Bewältigungsstrategien und ihrem Wohlbefinden zu befragen. «Musiker, Schauspieler und Produktionsteams standen in dieser Zeit vor einer noch nie dagewesenen Herausforderung», erklärt Scott die Auswahl ihrer Testpersonen. «Sie mussten widerstandsfähig bleiben, obwohl ihre Lebensgrundlage über Nacht verschwunden war.» Man konnte deshalb an ihnen gut beobachten, welches Verhalten besonders hilfreich ist, um eine existenzielle Stress-Situation zu überstehen.

Die Forscher legten dabei ihren Fokus auf zwei Bewältigungsstrategien: Auf der einen Seite die Achtsamkeit, in der man sich – etwa durch Meditation – vom angstvollen Blick in die Zukunft befreit, indem man den aktuellen Moment vergegenwärtigt. Und auf der anderen Seite die Hoffnung, in der man zuversichtlich an eine bessere Zukunft glaubt.

Insgesamt zeigte sich, dass die Künstler stark unter den Belastungen der Covid-19-Pademie litten. «Das war nicht überraschend», betont Scott. Weniger zu erwarten war jedoch, dass sich Achtsamkeit und meditative Techniken – die ja gerade bei Kreativen sehr beliebt sind – nicht als hilfreiche Bewältigungsstrategien für die Pandemie herausstellten. «Sie waren zwar auch nicht schädlich», so die Resilienzforscherin, «aber sie halfen den Künstlern nicht dabei, sich zu erholen oder während dieser langen Stressphase weiter mit Arbeit zu beschäftigen».

Zuversicht hält einen am Laufen

Die von Hoffnung geleiteten Probanden berichteten hingegen über ein höheres Mass an Resilienz und Engagement. Sie erlebten auch eher positive Emotionen, und ihre Zuversicht trug dazu bei, dass sie weiterhin produktiv blieben, indem sie neue Möglichkeiten für ihre Arbeit fanden, wie etwa virtuelle Auftritte und Proben oder Online-Kurse, in denen sie ihr musikalisches Können an Andere vermittelten.

Als eine Ursache für das mässige Abschneiden der Achtsamkeit vermutet Scott, dass sie Anstrengung erfordert. Allein das regelmässige Meditieren erfordert geistige Energien, die möglicherweise fehlen, wenn sich der Mensch in einer existenziellen Stresssituation befindet. Wer schafft es schon, sich einem entspannten Ruhemodus hinzugeben, wenn er um seine berufliche Existenz kämpfen muss?

Als weiteren möglichen Erklärungsfaktor sieht die Forscherin das sogenannte Achtsamkeitsparadoxon: «Wenn unsere gegenwärtige Realität düster ist, kann eine zu starke Konzentration auf das Hier und Jetzt dazu führen, dass wir uns in einer Sackgasse oder überfordert fühlen.» Wer bewusst seine Aufmerksamkeit auf den Augenblick lenkt, dem kann dabei auch erst recht klar werden, wie miserabel und ausweglos seine Situation gerade ist.

Hoffnung kann bewusst gesammelt werden

Nichtsdestoweniger ist Scott nicht der Ansicht, dass Achtsamkeit generell sinnlos ist: «Aber sie ist vielleicht nicht das beste Mittel für jede Situation.» In einer langwierigen Problemsituation, wozu neben einer Pandemie auch Arbeitslosigkeit, Beziehungskrisen und hartnäckige Krankheiten gehören, könne es sinnvoller sein, an der Hoffnung zu arbeiten. Beispielsweise, indem man in einem Tagebuch festhält, was man in Zukunft am liebsten tun würde. Oder auch, indem man sich mit anderen kurzschliesst, um seine Hoffnungen zu teilen und gemeinsam eine Strategie für ihre Erfüllung zu finden.

Das Kultivieren von Hoffnung könne uns in dunklen Zeiten den nötigen Antrieb zum Weitermachen geben, resümiert Scott. «Sie bietet ein Licht am Ende des Tunnels, selbst wenn wir den Weg nach vorne nicht vollständig sehen können.»