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Bundesrat unter Cassis steckt in Führungskrise – aber darf man das laut sagen? Krach zwischen Mitte und FDP

Es herrscht Uneinigkeit darüber, ob man Schwächen in der Regierung öffentlich ansprechen darf.

In den Wandelhallen im Bundeshaus, wo derzeit National- und Ständerat zur Frühlingssession zusammenkommen, gibt es keine zwei Meinungen: Die Entscheidfindung und die Kommunikation des Bundesrats in Sachen Sanktionen gegen Russland war ein alarmierendes Debakel. Am Donnerstag letzter Woche wollte der Bundesrat unter Präsident und Aussenminister Ignazio Cassis (FDP) die Sanktionen der EU nur teilweise übernehmen. Cassis las vor den Medien eine Erklärung vom Blatt und verschwand.

In Europa war Krieg ausgebrochen, aber kein einziges Regierungsmitglied stellte sich Fragen der Öffentlichkeit. Nach heftigen Protesten aus dem In- und Ausland über diesen Schweizer «Sonderweg» krebste die Regierung Tage später zurück und entschied am Montag: Die EU-Sanktionen werden übernommen. Gleich vier Regierungsmitglieder traten vor die Medien.

Ausdruck einer Führungskrise im Bundesrat

Namhafte Politiker sind der Ansicht, das Debakel sei Ausdruck eines tiefen Malaises innerhalb des Bundesrats. Das Gremium habe den Aussenminister bewusst ins Messer laufen lassen, als es zuliess, dass er an jenem Donnerstag als einziger vor die Medien trat. Womöglich aus Ärger darüber, dass Präsident Cassis es nicht schaffte, für die Sitzung vom Donnerstag schriftliche Entscheidgrundlagen vorlegen zu lassen. Der Bundesrat war überrumpelt worden von den Ereignissen in der Ukraine.

Verteidigungsministerin Viola Amherd (Die Mitte) hatte sich offenbar anerboten, die fatale Medienkonferenz ebenfalls zu bestreiten. Cassis wollte alleine gehen, und man liess ihn.

Mitte: Es braucht mehr Kompetenz im EDA

Kaum zufällig ist es die Fraktion Die Mitte. EVP, die das Nicht-Funktionieren der Regierung jetzt öffentlich thematisiert. Nach ihrer Sitzung vom Dienstag teilte die Fraktion mit, dass sie die Kandidatur der Schweiz für den Uno-Sicherheitsrat grossmehrheitlich unterstütze. «Damit die Schweiz sich auf dem internationalen Parkett erfolgreich einbringen kann, braucht es jedoch mehr Kompetenzen im Aussendepartement. »

Cassis‘ FDP reagierte verärgert und teilte am Donnerstag mit: «Die öffentliche Attacke der Mitte-Partei gegen die Regierung und gegen den Bundespräsidenten ist scheinheilig, parteipolitisch motiviert und vollkommen deplatziert.» Sie rufe alle auf, «die Landesregierung zu unterstützen und nicht zu schwächen.»

FDP-Chef Burkart: Vorgehen der Mitte schwächt Bundesrat

Mitte-Fraktionschef Philipp Mattias Bregy präzisiert auf Anfrage: «Uns geht es in dieser Frage nur um den Gesamtbundesrat. Heute in einem Jahr soll die Schweiz den UNO-Sicherheitsrat präsidieren, und gerade nach den grossen Schwierigkeiten, die der Bundesrat hatte, um betreffend Sanktionen gegen Russland zu einem Entscheid zu kommen, stellt sich die Frage, welche Massnahmen der Bundesrat vorsieht, um zu vermeiden, dass sich das wiederholt, wenn die Schweiz im Sicherheitsrat vertreten ist.» Klar sei: «Da wird es nicht reichen, mitten in der Nacht einige Telefonate zu machen. Kompetenzen und Abläufe müssen verbessert werden.»

FDP-Präsident Thierry Burkart räumt gegenüber CH Media zwar ein: «Der Bundesrat hat in seiner Funktionsweise Optimierungspotenzial.» Klar sei aber auch: «Das betrifft das Gesamtgremium.» Was er der Mitte vorwirft: «Ihr Vorgehen untergräbt aber gerade das gute Funktionieren unserer Landesregierung, das gerade in dieser Zeit nötiger wäre denn je. Eine Unterstützung des Bundesratsgremiums wäre weitaus hilfreicher als öffentliche Angriffe auf den Bundespräsidenten.»

Bregy warnt: Für Uno-Sicherheitsrat braucht es mehr

Beobachter stellen seit langem fest, dass im aktuellen Bundesrat keine konstruktive und offene Streitkultur herrscht, dass dafür viel hintenrum läuft. Gerade das EDA hat in dieser Beziehung einen schlechten Ruf. Die Gesamterneuerungswahlen in Bundesrat, bei denen die FDP einen ihrer beiden Sitze zu verlieren droht, werfen ihre Schatten voraus.

Mitte-Fraktionschef Bregy indessen warnt: «Tatsache ist, dass im Bundesrat die Kollegialität leidet und die Zusammenarbeit sich verschlechtert. Das zeigte sich auch beim Abbruch der EU Verhandlungen.» Das gehe alle Departemente etwas an. «Wir sehen in der Kandidatur für den Sicherheitsrat eine Chance für die Schweiz, aber sie darf nicht die anerkannte Position der Schweiz in der Welt gefährden.»