Auch der Nationalrat will den Wolf früher abschiessen lassen
Wer sich im Nationalrat am Donnerstag nur ein bisschen als Wolfsfreund outete, wurde sofort ins Kreuzfeuer genommen. Mit einer ganzen Kaskade an Fragen wurden Vertreter von Grünen, SP und Grünliberalen von den Wolfsgegner herausgefordert. Beat Flach (GLP/AG), der die wachsende Wolfspopulation als «schöne Entwicklung» bezeichnete, wurde gar gefragt, ob er Freude hätte, wenn an seinem Wohnort ein Wolfsrudel angesiedelt werde.
Wer hat Angst vor dem bösen Wolf, war die grosse Frage in der Debatte der grossen Kammer. Oder genauer: Wer hat wie fest Angst. Denn, dass es gewisse Lockerungen beim Wolfsabschuss braucht, war eigentlich grösstenteils unumstritten. Strittig war, wie viel oder wie wenig es braucht, damit künftig ein Wolf geschossen werden kann.
Michael Graber (SVP/VS) würde diese Grenze möglichst tief ansetzen. Es sprach von ungeborenen Lämmern, die vom Wolf «aus dem Mutterschaf gerissen werden» und Wölfen, die ungehindert am «helllichten Tag durch die Dörfer» spazieren. Er sieht im Umgang mit dem Wolf ein «unverkennbares Staatsversagen» und Beamte, «die sich lieber um Tiere kümmern als um die Anliegen der betroffenen Menschen».
Bund muss weiter die Zustimmung geben
Es war eine sehr emotional geführte Diskussion. Christophe Clivaz (Grüne/VS) warf der SVP vor, Rotkäppchen-Geschichten zu erzählen und Angstmacherei zu betreiben. Parteikollege Bastien Girod (ZH) mahnte an, dass übermässige Abschüsse sogar zusätzliche Probleme verursachen würden. Dezimierte Rudel könnten weniger gut Rehe und Hirsche jagen und würden so eher zu problematischen Verhalten tendieren. Eine gewisse Lockerung brauche es, so Girod, «aber wir müssen aufpassen, dass wir hier nicht über das Ziel hinausschiessen.»
Konkret hat das Parlament am Ende vor allem einen Paradigmenwechsel beschlossen: Künftig sollen Wölfe nicht erst dann geschossen werden, wenn sie Schäden angerichtet haben. Vielmehr sollen sie bereits erlegt werden können, um künftige Schäden oder Gefährdungen zu verhindern. Damit sind Bestandesregulierungen auch beim ansonsten geschützten Wolf möglich – analog zum ebenfalls geschützten Steinbock. Das Regulierungsfenster für die Wildhut öffnet sich zwischen dem 1. September und dem 31. Januar. Voraussetzung dafür bleibt jedoch die Zustimmung des Bundes.
Susanne Vincenz-Stauffacher (FDP/SG) sprach von einem «pragmatischen Umgang» der nötig sei im Zusammenleben mit dem Wolf. Und Nicolo Paganini (Mitte/SG) fand: «Es ist nicht gut, den Teufel an die Wand zu malen. Aber muss noch Schlimmeres passieren, bis wir den Jagdbehörden bessere Mittel zur Regulierung des Wolfs in die Hand geben?» Gerade die Bedingungen für die aktive Regulierung war im Nationalrat sehr umstritten. So stritten die Ratsmitglieder darüber, ob ein «grosser Schaden» oder einfach ein «Schaden» drohen muss, wenn ein Wolf nicht abgeschossen wird.
In der Schweiz leben derzeit rund 200 Wölfe
Klingt nach Wortklauberei, öffnet aber laut den abschussskeptischen Politikerinnen und Politiker Tür und Tor für zahlreiche zusätzliche Abschüsse. Sämtliche «punktuellen Verschärfungen», wie Bundesrätin Simonetta Sommaruga sie nannte, wurden aber mit knappen Mehrheiten abgelehnt. GLP-Flach sprach von einem «überbordenden Gesetz», das hier gezimmert werde.
Als nächster Rat beschäftigt sich die kleine Kammer erneut mit der Vorlage. Ohne ein Referendum ist es durchaus möglich, dass die neuen Abschussregeln bereits ab kommenden Sommer gelten. Unumstritten ist das neue Gesetz nicht: In der Gesamtabstimmung wurde es am Donnerstag mit 106 zu 74 Stimmen bei 12 Enthaltungen angenommen.
Für die aktuell in der Schweiz lebenden rund 200 Wölfe könnte es also ungemütlich werden. Das Bundesamt für Umwelt zählt in der Schweiz momentan 23 Rudel. Gemäss der Gruppe Wolf Schweiz (GWS) hat es hierzulande jedoch Platz für 50 bis 100 Wolfsrudel.