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Panzer vor dem Präsidentenpalast: Machtkampf in Bolivien gipfelt in einem Operettenputsch

Präsident Arce und Expräsident Evo wollen beide 2025 Spitzenkandidat der Sozialisten sein. Das hat die Regierungspartei gespalten und das Andenland an den Abgrund geführt.

Seit Monaten steckt Bolivien in der Krise. Am Mittwoch meldete sich nun auch noch ein General mit einer wirren Machtdemonstration zu Wort: Um die Mittagszeit twitterte Präsident Luis Arce von der linken Bewegung zum Sozialismus (MAS), man habe seltsame Truppenbewegungen beobachtet. «Die Demokratie muss respektiert werden.»

Fast zeitgleich twitterte sein Amtsvorgänger und Parteifeind Evo Morales, ein Staatsstreich drohe, das Militär sei mit Panzern und Truppen unterwegs zum Präsidentenpalast. Fernsehbilder bestätigten den Aufmarsch einiger Einheiten. An der Spitze war der erst einen Tag zuvor von Arce abgesetzte Heereschef, General Juan José Zúñiga. Er hatte im Fernsehen gedroht, das Militär werde eine Wiederwahl von Evo Morales im kommenden Jahr verhindern, weil dies gegen die Verfassung verstosse – eine politische Einmischung, die ihm in seiner Funktion nicht zusteht.

Vor dem Präsidentenpalast angekommen, forderte Zúñiga vor der versammelten Presse die Freilassung aller politischen Gefangenen, vor allem Militärangehörige, aber auch der beiden inhaftierten rechten Spitzenpolitiker Jeanine Añez und Luis Fernando Camacho. Im Hintergrund waren Detonationen zu hören. Añez dementierte umgehend: «Ich verurteile den Aufmarsch des Militärs auf dem Murilloplatz mit der Absicht, die verfassungsmässige Ordnung zu zerstören.

Militärpolizisten stellen sich vor Anhängern des bolivianischen Präsidenten Luis Arce auf.
Luis Gandarillas / EPA

Die MAS, mit Arce und Evo, muss 2025 durch Wahlen von der Bildfläche verschwinden», liess sie per twitter verkünden. Zúñiga liess von einem Panzer dann die Tür zum Präsidentenpalast rammen, daraufhin kam es zur Gegenüberstellung mit Arce, der ihn abfing. Die halbe Welt war da bereits in heller Aufregung, von der Europäischen Union über zahlreiche lateinamerikanische Staatschefs bis hin zur Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) hagelte es harsche Kritik und Aufrufe, die Demokratie zu respektieren.

Einige Minuten später zog sich Zúñiga gefolgt von seinen Soldaten zurück. Arce wechselte umgehend den Generalstab aus. Dessen neuer Chef befahl den Rückzug in die Kasernen und liess Zúñiga festnehmen. Während der Festnahme sagte Zúñiga zu Journalisten, er habe auf Befehl von Präsident Arce gehandelt, der mit dieser Aktion seine Popularität verbessern wollte.

In La Paz blieb es während des Vorfalls weitgehend ruhig; die Bevölkerung ging ihren normalen Aktivitäten nach. In den Cafés wurde danach diskutiert, ob das Ganze nun ein Putschversuch, ein inszenierter Selbstputsch oder der Protest eines Generals mit zu viel Hybris war. Der bolivianische Soziologe Rafael Archondo sprach von einer Inszenierung. Das Ganze sei kein Putsch, sondern höchstens der Ungehorsam eines Generals gewesen.

Die Aktion illustriert aber die kritische Situation in dem Andenland. Wirtschaftlich ist das Land seit der Pandemie nicht mehr auf die Beine gekommen. Die Gasförderung – einer der wichtigsten Devisenbringer – ist eingebrochen. Das führt zu Dollarknappheit, Preisanstiegen, und Engpässen beim staatlich subventionierten Importbenzin.

Bolivien hat sich bis heute nicht vom Einbruch der Rohstoffpreise seit dem Jahr 2014 erholt. «Der Staat hat damals angefangen, die Kassen zu plündern, und jetzt sind sie leer», sagt der Ökonom Gonzalo Chávez von der Katholischen Universität. Ständige Demonstrationen und Strassenblockaden sind die Folge.

Dann sind die Institutionen seit Monaten durch einen Machtkampf zwischen Evo und Arce blockiert. Arce möchte 2025 erneut antreten, doch Evo macht ihm die Kandidatur der MAS streitig. Die Partei ist darüber zerstritten und hat ihre Mehrheit im Parlament verloren.

Dort herrscht nun eine Blockade zwischen drei Blöcken – der bürgerlich-rechten Oppositionsparteien zum einen, das Arce-Lager zum zweiten und das Evo-Lager zum Dritten. Alle bezichtigen sich der Korruption, der Geldwäsche und des Drogenhandels. Evo und die Opposition verweigern ihre Zustimmung zu neuen Staatsschulden sowie zur Vergabe von Lizenzen an ausländische Lithium-Firmen.

Aufgrund der Blockade konnten auch die Wahllisten für die höchsten Ämter in der Justiz nicht erstellt werden. In Bolivien werden die obersten Richter vom Volk gewählt aus einer vom Kongress mit Zwei-Drittel-Mehrheit erstellten Liste. Die amtierenden Richter verlängerten daraufhin mit Unterstützung der Arce-Regierung selbst ihre Amtszeit und verhinderten Neuwahlen.

Opposition und Evo-Anhänger halten dies für einen Verfassungsbruch und wollten sie absetzen, doch mehrere Anläufe im Parlament wurden von Arce-Anhängern durchkreuzt, indem sie die Zugänge sperrten oder den Strom abstellten. Die Opposition kann bislang von dem Streit der regierenden Partei kaum profitieren. Sie hat keine schlüssigen Konzepte und keine überzeugende Führung.