«Hör auf mit deinen Spielchen – ziehe mich da nicht mit rein»: Mutter fleht vor dem Bezirksgericht den eigenen Sohn an
Dünn war die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Rheinfelden-Laufenburg, wortwörtlich: gerade mal zwei Seiten lang. Dünn und höchst vage obendrein, inhaltlich. Wurde dem Beschuldigten darin doch gerade mal eine Straftat – einfache Körperverletzung – vorgeworfen, begangen «im Jahr 2018 oder 2019».
Vage und unpräzise – und doch kam es am Bezirksgericht Laufenburg zur Verhandlung. Gestützt auf die Aussage des Privatklägers fand sich dort ein Mann auf der Anklagebank, der nicht wusste, wie ihm geschah. Den älteren Sohn seiner damaligen Lebensgefährtin soll er geschlagen und getreten haben. Dafür wollte ihn die Staatsanwaltschaft zu einer bedingten Geldstrafe von 120 Tagessätzen und zu einer Geldbusse von 3000 Franken verurteilt sehen. Und ihm auch sonst noch alle weiteren Kosten aufhalsen.
Gewaltfreiheit war seine Maxime bei der Erziehung
Ein Mann, der vor Bezirksgerichtspräsident Beat Ackle aussagte, Gewaltfreiheit sei immer seine Maxime in Erziehungsfragen gewesen, soll jetzt auf einmal ein brutaler Schläger sein? Er sagte: «Ich wollte für die beiden Söhne meiner Lebensgefährtin immer nur das Beste. Für mich waren sie wie meine eigenen Kinder.»
Am Boden zerstört sei er gewesen, als er von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen erstmals erfuhr. «Das tut mir alles sehr weh», sagte er in Laufenburg aus. Die Vorwürfe seien aus der Luft gegriffen. «Ich war niemals gewalttätig», beteuerte er. Sein Verteidiger nannte ihn im Plädoyer «liebevoll» und «fürsorglich».
Im Saal neben dem Beschuldigten sass der Privatkläger, eben der angeblich geschlagene ehemalige Stiefsohn. Und neben dem hatte dessen Mutter, die als Zeugin aussagte, Platz genommen. Auch ihr warf der junge Mann vor, ihn geschlagen zu haben. Und auch sie stritt das ab. «Hör auf mit deinen Spielchen – ziehe mich da nicht mit rein», flehte sie den Sohn im Gerichtssaal an.
Ex-Mann und Kindsvater soll Sohn aufgestachelt haben
Ihrer Aussage nach soll der Ex-Mann und Kindsvater hinter allem stecken. Er soll seinen Sohn gegen sie aufgestachelt haben. Er sei der eigentliche Gewalttäter in der Familie gewesen. Vor ihm und seiner Gewalt habe sogar die Polizei sie und ihre Söhne schützen müssen, sagte sie aus.
Ackle hielt dem Privatkläger vor, die Sache mit der polizeilichen Anzeige erst 2023 ins Rollen gebracht zu haben – erst ein Jahr nach erreichter Volljährigkeit. Auch, dass er sich nicht mehr genauer an die Zeitumstände erinnern konnte, hielt Ackle angesichts eines doch traumatisierenden Vorfalls für wenig glaubhaft. Und schliesslich erschütterte eines die Glaubwürdigkeit des Mannes: dass dessen Bruder in einer schriftlichen Erklärung die gegen den Beschuldigten erhobenen Vorwürfe nicht bestätigen wollte. Dabei war er angeblich Augenzeuge.
So gab es für die Verteidigung dann auch nur eines zu fordern – Freispruch. Und den gewährte Ackle schliesslich, und zwar «glasklar», wie er sagte. Die 4300 Franken Anwaltshonorar und die weiteren Kosten gehen zulasten der Staatskasse. Zum Privatkläger gewandt, sagte Ackle: «Sie sind heute haarscharf an einer Strafanzeige wegen falscher Anschuldigungen vorbeigeschrammt. Das muss Ihnen eine Lehre sein.»