Der einzig logische Schritt: Darum braucht es ein Ja zum Stromgesetz
Es war ein taktisch kluger Schachzug von Energieminister Albert Rösti, den sogenannten Mantelerlass zum Stromversorgungsgesetz umzutaufen. Es ginge ja schliesslich nicht um Mäntel, sondern um Elektrizität, sagte er einmal. Das stimmt. Wobei beide Begriffe nicht im Ansatz verdeutlichen, wie gross dieses Gesetzespaket eigentlich ist, das der Schweiz am 9. Juni vorliegt.
Jahrelang tüftelten Verwaltung und Parlament daran, wie das Land in Zukunft sicher mit Energie versorgt werden kann. Anlass dazu gab die Energiestrategie 2050, welche die Stimmbevölkerung 2017 mit 58,2 Prozent Ja-Anteil klar annahm.
Damals Ja zu sagen, war nicht schwer. Die Energiestrategie war bis auf wenige Massnahmen und den (möglichst vage gehaltenen) Atomausstieg ein Lippenbekenntnis, ein Versprechen für die Zukunft. Schon etwas konkreter war das Klimaschutzgesetz, das die Schweizer Bevölkerung vor ziemlich genau einem Jahr mit fast identischem Ja-Anteil annahm: weil es den Weg aus den Fossilen vorzeichnete, mit Subventionen statt Verboten.
Kern der Vorlage sind 15 Wasserkraftprojekte
Der dritte Schritt folgt jetzt mit dem Stromgesetz. Wer aus den fossilen Energien aussteigen und gleichzeitig längerfristig auf Atomkraft verzichten will, dem bleibt nur der Ausbau der Erneuerbaren. Unangenehm konkret wurde die Gefahr einer Winterstromlücke in den vergangenen Jahren, mit potenziell katastrophalen Auswirkungen für Gesellschaft und Wirtschaft. Bei allen hehren Effizienz- und Suffizienzwünschen: Die Schweiz braucht möglichst bald mehr Strom und soll diesen nach Möglichkeit selber produzieren.
Das Parlament hat lange daran gewerkelt, Dutzende Berichte bestellt und Interessen gegeneinander abgewogen. Das hat Zeit in Anspruch genommen, sehr viel Zeit. Aber es hat sich gelohnt. Selten kommt eine Vorlage dieses Ausmasses so austariert daher wie das Stromgesetz. Kein grosser Wirtschafts- oder Naturschutzverband lehnt es ab, ja nicht einmal die SVP mag sich vollen Herzens dagegen auflehnen. Kein Wunder: In Zeiten europaweiter Energiekrisen steht auch die Selbstständigkeit der Schweiz auf dem Spiel.
Das Stromgesetz, wie es jetzt zur Abstimmung gelangt, denkt die Schweizer Versorgung in grossen Linien – und plant deren Erzeugung dennoch in den Details. Kern der Vorlage sind 15 Wasserkraftprojekte, auf die sich viele wichtige Interessengruppen – damals noch unter Energieministerin Simonetta Sommaruga – geeinigt haben. In diesen 15 Projekten (ein 16. kam ironischerweise dank Nein-Wortführerin Magdalena Martullo-Blocher hinzu) geht der Nutzen der Natur ihrem Schutz grundsätzlich vor. Sagt das Volk Ja dazu, muss man es als Machtwort in einer lange blockierten Diskussion interpretieren. Als Startschuss für ein Generationenprojekt.
Windräder werden kaum rieisige Rolle spielen
Der Energiemix der Zukunft ist kompliziert. Sonne, Wind und Wasser bedürfen viel Abstimmung aufeinander, damit sie jederzeit zuverlässig den Strom aus der Steckdose liefern. Vor allem Windräder werden in der Schweiz kaum je jene Rolle spielen, wie sie den mächtigen Staudämmen am Lac des Dix oder am Lago di Lei zukommt.
Diese sind der Rückhalt der Schweizer Energieversorgung, jetzt und wohl auch noch in hundert Jahren. Windräder, aber auch alpine Solaranlagen dagegen sind kleine Stützen: rasch gebaut, schnell wieder rückgängig gemacht. Sie können der Schweiz helfen, unabhängiger zu werden – aber es ist richtig, den Segen dazu in die Hände der betroffenen Gemeinden zu legen. Auch hier fand das Parlament einen guten Kompromiss.
Das Stromversorgungsgesetz entbindet die Schweiz nicht von ihren Klima-Anstrengungen. Es ist vielmehr die Voraussetzung dazu. Nach der Energiestrategie 2050 und dem Klimaschutzgesetz ist es der wohl grösste Schritt, den die Schweiz geht – aber auch der einzig logische. Man kann es als Wende feiern oder als Übergangslösung vor einem nuklearen Comeback ansehen – nur kurzfristig umsetzbare Alternativen dazu wird man kaum finden.