Wie der Zirkus Knie Lenzburg verzückte – auf dem Seil und auf der Schulbank
Endlich! Endlich ziehen sie wieder ein, die Frauen und Männer des Zirkus Knie! Die Kinder sind aus dem Häuschen, oder wie es Miranda Ludwig-Zweifel in den «Lenzburger Neujahrsblättern» von 1968 ausdrückt: «In den Schulhausgängen, auf den Strassen riefen wir es uns zu: ‹De Knie chunnt!›.»
Die Autorin erinnert sich in den Neujahrsblättern lebhaft an die Zeit zurück. An damals um 1900, als die Artisten in Lenzburg einfahren. Manchmal durch das Städtchen, manchmal auf direktem, holperigem Weg ins Winterquartier: die Schützenmatte.
Kochen auf dem Hochseil
Sie erinnert sich vor allem auch an die vierte Generation Knie, an Louis, Friedrich, Rudolf, Karl und Eugen mit ihrem gestrengen Vater. Und an den Höhepunkt der Zirkusvorstellungen: den Seiltanz. Oder «Seilgump», wenn einer der Brüder sich auf dem Seil hinlegt und ein anderer über ihn hinwegschreitet. Ganz famos wird es, als einer der älteren Brüder auf dem Seil kocht. Und dann? «Zerteilte er den ‹Eiertätsch› und warf die Stücke hinunter. Glücklich derjenige, der eines ergatterte.»
Die Vorstellungen finden notabene nicht in einem Zelt statt, sondern unter freiem Himmel. Auf dem Kronenplatz drängt sich die Menge – und manch einer huscht ab in die Gassen, als es ans Bezahlen ginge.
Pagenfrisur und Elefantenhaar
Während die Truppe mit ihren «Komeediwagen» in Lenzburg weilt, besuchen die Knaben die Schule. Und bleiben dort, natürlich, alles andere als unbemerkt. «Es hatte wohl jedes von uns eine Vorliebe für eines der Kniekinder», schreibt Ludwig-Zweifel.
Sie selbst bewundert Eugen; «nicht nur wegen seiner unglaublichen Beweglichkeit – er schlüpfte wirklich schlangengleich zwischen den Sprossen einer ganz gewöhnlichen Leiter durch –, sondern auch wegen seiner glatten Pagenfrisur». Unterrichtet wird streng nach Geschlecht getrennt, nur Singen und Turnen finden gemeinsam statt. Gerade beim Singen ist das aber nicht von Nachteil, kann man sich auf diese Weise doch viel besser anschauen und anlächeln. Freundschaften entstehen, die nie wieder vergehen sollen.
So auch zwischen der Autorin und Karl Knie. Einmal schickt er ihr aus Wien ein Elefantenhaar von seinem Lieblingstier «Rosa», eingezogen in einen schmalen Goldreif. Er schreibt dazu: «In der Neujahrsnacht ausgezupft, soll das Haar Dir alles Glück der Welt bringen.»
Die Eierreste im Mundwinkel
Auch Albert Meyer-Tzaut erinnert sich in einem der «Lenzburger Neujahrsblätter» an die Ära Knie in Lenzburg. Nicht nur wegen des Geruchs von Holzrauch in den Gassen, den er der Küche eines Wohnwagens der Schausteller zuschreibt. Sondern vor allem wegen der Mundwinkel von Eugen.
Im Jahr 1899 kommt der Junge zum zweiten Mal in die Primarschule in Lenzburg. Und wird vom Autor neidisch betrachtet; denn Eugen hat gelbe Flecken um die Mundwinkel. Die könnten nur von Eiern stammen, die Eugen offenbar zum Zmorge bekommt. Wie gut er es doch hat! Denn obwohl die Familie des Autors Dutzende Hühner hat, solche Speisen gibt es nie. Denn diese Eier, die werden für die Herstellung von Teigwaren gebraucht. Indes, der Autor spricht Eugen nie auf seinen Zmorge an. Denn «von all den bewunderten Knie-Buben war Eugen der zurückhaltendste, ja der ‹vornehmste›», erinnert er sich. Und schliesslich ist man ja auch befreundet.
Der Zirkus Knie, er hat Eindruck hinterlassen in Lenzburg. Schliesslich auch bei einem Künstler: Emanuel Hans Walty (1868–1948). Er hat Plakatentwürfe für den Zirkus gemalt. Und nicht nur für den, sondern auch für Coca-Cola, Café Hag oder für die Landesausstellung in Zürich. Nach dem Tod des Künstlers verschwindet ein Grossteil seines Erbes; Marc Philip Seidel, der Leiter des Museums Burghalde, macht sie 2018 in einem Pariser Antiquar ausfindig. «De Knie chunnt» – und er bleibt, in Erinnerungsstücken und Werken.