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Der Mensch spielt Biber in diesem Wald: Die Stadt nimmt eine Pionierrolle ein

Im Zweiweihertal in Lenzburg sind vier künstliche Dämme angelegt worden – um den Wald zu revitalisieren und den Herausforderungen des Klimawandels zu begegnen.

Wiedervernässung – welch ein Wort. Was sich im Spiel Scrabble gut macht, das macht sich auch in der Natur gut, konkret: im Wald in Lenzburg. Ein innovatives Projekt hat die Ortsbürgergemeinde erarbeitet, erklären die Verantwortlichen beim Augenschein an diesem Winternachmittag: Matthias Ott, Stadtoberförster; Andreas Schmid, Vizeammann; Thomas Waltenspühl, stellvertretender Revierleiter; Philipp Schuppli, Umweltingenieur und Geschäftsführer Büro apiaster GmbH.

Auf der einen Seite des Waldwegs bestand bis anhin ein dichter, dunkler Fichtenwald. Die meisten Bäume wurden gefällt, um für mehr Licht zu sorgen, mehrere flache Tümpel wurden für Pionieramphibien angelegt. Stadtoberförster Ott spricht von einem Trittstein, um die bedeutenden Amphibiengebiete Aabach und Lütisbuech miteinander zu vernetzen. Der Zweiweiherbach, der bisher schnurgerade durch das Areal verlief, wurde natürlicher strukturiert, was den seltenen einheimischen Steinkrebsen und Edelkrebsen zugutekommt. «Wir durften einen schönen Lebensraum gestalten», hält Ott fest. So weit, so unspektakulär. Denn Naturschutzmassnahmen angewandt und Gewässer angelegt, räumt der Stadtoberförster ein, haben die Forstdienste Lenzia schon Dutzende.

Einst wurde Wald mit Drainagegräben entwässert

Neu – und durchaus revolutionär in unseren Breitengraden – ist das, was auf der anderen Seite des Waldwegs umgesetzt wurde. Eine Idee, die sich in Nordamerika bewährt hat und von dort nach Europa und jetzt nach Lenzburg gekommen ist: sogenannte «Beaver Dam Analogs», also künstliche Biberdämme. Oder wie es Ott sagt: «Wir spielen Biber.» Der Nager, fügt er an, sei ein genialer Gewässerbauer.

Am Waldrand sind Bäume gerodet und Tümpel angelegt worden.
Bild: Michael Hunziker

In diesem Gebiet im oberen Teil des Zweiweihertals wurde der Wald im 19. Jahrhundert trockengelegt, wurden Drainagegräben erstellt für die Entwässerung, um bessere Bedingungen für die Holzproduktion zu erhalten. «Man hat aus dem Natur- einen Wirtschaftswald gemacht», fasst Ott zusammen. Nun versuche der Mensch, das Wasser wieder im Waldboden zurückzuhalten und zu speichern. Wie ein Schwamm also. Ein Vorgehen, das die Widerstandskraft des Waldes stärke mit Blick auf den Klimawandel und die immer wärmeren Sommer mit längeren und heftigeren Trockenperioden, so der Stadtoberförster.

Der Beschluss, die Wiedervernässung herbeizuführen, kam von der Ortsbürgergemeinde. Realisiert wurde das Vorhaben im Auftrag der Forstdienste Lenzia in Zusammenarbeit – und mit finanzieller Unterstützung – des Kantons.

Gefragt war viel Handarbeit

Das Projekt sei auch ein wichtiger Schritt in der Klimastrategie von Lenzburg, sagt Vizeammann Schmid. Schnell und mit relativ geringem Aufwand werde ein Beitrag an den Naturschutz geleistet, die Biodiversität gefördert. Im Zweiweihertal könne die Methode getestet, könnten Erfahrungen gesammelt werden. Trete die erhoffte Wirkung ein, fügt Schmid an, sei eine Ausweitung möglich, etwa im nahen Fünfweihertal.

Die künstlichen Biberdämme sind in Handarbeit erstellt worden.
Bild: zvg/apiaster GmbH

Es sei ein grosses ökologisches Potenzial vorhanden, sagt Umweltingenieur Schuppli. Lenzburg nehme eine Pionierrolle ein. Projekte wie im Zweiweihertal gebe es in dieser Form erst ganz wenige. Er bezeichnet dieses als zeitgenössisches Anschauungsobjekt und verspricht auch ein akustisches Erlebnis. Denn schon in wenigen Wochen könnten Hunderte Amphibien – wie Erdkröten und Grasfrösche – zu hören sein. Geräusche, wie sie selten geworden sind, sagt Schuppli. Es sei ihm ein grosses Anliegen, das zurückzubringen, was verloren gegangen sei: eine lebendige Natur, eine Kulturlandschaft, wie es sie früher gab. «Das ist sehr wertvoll.»

Tatkräftig Hand angelegt bei den vier künstlichen Biberdämmen hat der stellvertretende Revierleiter Waltenspühl. Ziel sei es gewesen, keine grossen Baumaschinen einzusetzen, führt er aus. Eingeschlagen wurden Eichenpfähle auf beiden Seiten des Bachbetts, dazwischen Äste von Weiden geflochten, die in der Umgebung geschnitten wurden. Aus ihnen sollen dereinst neue Bäume wachsen. Der Zweiweiherbach, der zuvor kaum zu sehen war, tritt heute deutlich in Erscheinung. Trotz Nässe, trotz Dreck: «Es war eine schöne Arbeit, eine willkommene Abwechslung im Alltag», sagt Waltenspühl.

Die Forstdienste Lenzia sind der gemeinsame Forstbetrieb der Ortsbürgergemeinden Lenzburg, Ammerswil, Niederlenz, Othmarsingen und Staufen. Bewirtschaftet werden 1090 Hektaren Wald.