
Heute wird es warm: Warum barfuss laufen gegen Zivilisationskrankheiten hilft und die Füsse jung hält
Es ist Frühling, die Sandalen sind zurück und bei vielen die Lust, die Schuhe auch mal ganz wegzulassen. Aber ist das eine gute Idee? Caroline Werkmeister ist Fusschirurgin und eine glühende Fürsprecherin des Barfusslaufens. Wir haben mit ihr über gesunde Füsse und Schuhverzicht gesprochen.
Wir tragen alle Schuhe, Sie plädieren fürs Barfusslaufen, warum?
Caroline Werkmeister: Barfussgehen auf wechselhaftem natürlichem Untergrund, also nicht auf Fliesen, Parkett oder Asphalt, sondern Steinchen, Stöckchen, Wiesen, Gras, ist die artgerechte Beanspruchung des Fusses. Dabei wird alles abgerufen, was der Fuss kann. Die vielen Nervenenden, die Muskeln und das Bindegewebe im Fuss werden stimuliert. Man kann gar nicht genug barfuss laufen. Es ist unfassbar hilfreich für ein gesundes Fussleben, ist gratis und jeder kann’s machen. Es kann mir niemand erzählen, dass er keinen solchen Fleck mit natürlichem Boden in der Nähe findet.
Zum Barfusslaufen inspiriert wurden Sie in Australien.
Das war während meines Studiums an der Ostküste, da habe ich zum ersten Mal gesehen, dass ein Barfuss-Lifestyle gelebt wird, der ganz unaufgeregt und selbstverständlich daherkommt. Bei der Arbeit in der Klinik trugen natürlich alle die entsprechenden erforderlichen funktionellen Schuhe, aber es war ganz normal, dass man sich diese – sobald man die Möglichkeit hatte – auch gleich wieder auszog. Ganz undogmatisch und ohne eine tiefere Message oder Sendungsbewusstsein, in allen Altersgruppen und hierarchischen Ebenen, einfach nur, weil es sich gut anfühlt.
Barfussschuhe sind ein Trend, bei Kindern wie bei Erwachsenen. Stimmt es, dass man damit den Füssen etwas Gutes tut?
Erst mal finde ich den Begriff Barfussschuhe irreführend, ich nenne sie lieber minimalistische Schuhe, das trifft es besser. Diese Schuhe zeichnen sich durch eine breite, anatomische Form der Zehenbox aus und durch eine dünne und flexible Sohle und keine Steigung in der Sohle. Normale Sneakers sind hinten etwas höher als vorne, Barfussschuhe sind ganz platt. Für Kinder, die fast alle mit gesunden Füssen zur Welt kommen, sind diese Schuhe super. Ein kindlicher, gesunder Fuss braucht keine äussere Stütze, er ist schon perfekt designt und als Eltern hat man eigentlich nur die Aufgabe, das nicht zu verschlimmbessern.
Was heisst das konkret, wenn man Kinderschuhe kauft?
Unverhandelbar sind eine breite, asymmetrische Zehenbox und eine dünne Sohle. Ich weiss, diese kleinen Nikes sehen superherzig aus und können auch mal für ein Familienfest oder so getragen werden. Aber für die Entwicklung des Fusses ist es unfassbar wichtig, dass die Zehen im Alltag mitarbeiten und dass die Füsse ein Feedback ans Gehirn schicken können: Ist der Untergrund sicher, wackelig, weich, spitz?
Es gibt sogar Untersuchungen, die zeigen, dass das Gehirn besser mitarbeitet, wenn die Kinder barfuss in der Schule sitzen. Wenn man sie lässt, reissen sich die Kinder immer gleich die Schuhe und Socken von den Füssen, sobald sie können. Das sollte man als Eltern nicht zu streng unterbinden und barfuss normalisieren. Das bedeutet auch, im Sommer keine Angst vor Bienenstichen auf der Wiese zu haben.
Würden Sie auch Erwachsenen zu Barfussschuhen raten?
Bei Erwachsenen ist es nicht so einfach, weil minimalistische Schuhe auch anstrengen. Da muss man sich rantasten, über mehrere Wochen, sich zuerst minuten-, dann stundenweise an die Schuhe gewöhnen und den Fuss trainieren. Auch da ist ein Wechsel gut zwischen minimalistischen und herkömmlichen, gepolsterten Schuhen.
Für ältere Menschen, die eher schwer auf so eine dünne Sohle wechseln können, gibt es gute Zwischenlösungen von verschiedenen Herstellern mit einer breiten Zehenbox und trotzdem guter Polsterung. Senioren stürzen nachweislich weniger, wenn ihre Zehen Platz haben, um ihre Funktion zu entfalten. Fürs Joggen würde ich Barfussschuhe nicht jedem empfehlen, ausser man kann diesem Ziel viel Zeit widmen und wird im besten Fall von einem erfahrenen Trainer begleitet.
Gibt es bei Schuhen ein No-Go?
Nein, mein Credo ist: Alles kann, nichts muss. Solange man einen Ausgleich hat, gehen zwischendurch auch High Heels und enge Riemchensandalen, da geht nichts kaputt. Es geht um die Dosis. Wenn man im Job regelmässig High Heels trägt, muss man das entsprechend ausgleichen. Ein gesunder, starker Fuss kann einiges ertragen und kompensieren.
In welchem Verhältnis sollte man also High Heels zu minimalistischen Schuhen tragen?
Das sind nun zwei extreme Beispiele. 20:80 ist ja für vieles im Leben eine gute Richtlinie. 20 Prozent wenig fussfreundliche Schuhe und 80 Prozent Ausgleich wären optimal, da gehören minimalistische Schuhe dann dazu.
Es ist Frühling und die Menschen ziehen wieder offene Schuhe an. Worauf sollte man dabei achten?
Was ich immer empfehle, wenn man Sandalen trägt, ist eine kleine Fixierung am Knöchel oder an der Ferse, die die Sandale passiv am Fuss hält. Bei Schlappen wie Flipflops müssen die Zehen eine überhöhte Spannung haben, um den Schuh zu halten. Das passiert unterbewusst und kann Probleme machen. Wenn man zum Beispiel eh schon zu Krallenzehen neigt, verstärkt sich das Problem durch die unterschwellige Dauerspannung.
Welche Übungen empfehlen Sie, damit die Füsse gesund und kräftig bleiben?
Zum Beispiel die grosse Zehe horizontal in Richtung des anderen Fusses abspreizen, den Fuss über einen Tennisball rollen, die Zehen spreizen in der Bodenebene, die gestreckten Zehen kippen.
Trägt auch Fusspflege zur Gesundheit bei? Und wenn ja, worauf muss man achten?
Die Zehennägel sollte man gerade schneiden, damit sie nicht einwachsen, Hornhaut zurückhaltend wegschrubben, weil sich sonst nur mehr davon bildet. Hornhaut ist ein Zeichen dafür, dass der Fuss an dieser Stelle stärker belastet ist. Wenn es da Probleme gibt, lohnt es sich, das mit einer Podologin anzuschauen.