Der Schriftsteller hinter der Bundesrätin: Wer ist der Mann, wegen dem Simonetta Sommaruga zurücktritt?
1999 veröffentlichte er den Roman «Die Frau im Pelz» über Carmen Mory, ein «Berglerkind» aus Adelboden. Mory war als Nazispionin tätig, kam dann aber ins Konzentrationslager und wurde zum Tod verurteilt. Die schillernde Carmen Mory animierte Lukas Hartmann zu einem biografischen Roman, während gleichzeitig eine Historikerin sich derselben Person mit streng wissenschaftlichen Mitteln annahm. So konnte man vergleichen, welche Form mehr überzeugte.
Sein glänzendstes Buch: «Pestalozzis Berg»
Ich hatte starke Vorbehalte gegen Hartmanns Methode, weil er das Innenleben der Frau mit seinen Fiktionen und Projektionen ausstaffierte und dort am dicksten auftrug, wo die Quellenlage am dünnsten war. Ich reiste dennoch an eine Buchpräsentation im Bundesarchiv Bern, wo der Vizedirektor nicht etwa die seriöse Historikerin und ihr Buch lobte, sondern vielmehr Lukas Hartmann. Der Vizedirektor meinte, seit der Antike schätze man «Plausibilität, Realitätsnähe und Spannung» historischer Stoffe. Autorinnen und Autoren hätten sie immer schon frei umgesetzt.
Seither sind Lukas Hartmann und ich uns aus dem Weg gegangen. Dennoch greife ich immer mal wieder zu einem Hartmann-Schmöker. «Pestalozzis Berg» halte ich für ein glänzendes Buch. Ebenso gern habe ich verfolgt, wie sich Hartmann in «Schattentanz» des Malers und Musikers Louis Soutter annimmt. Und nicht zu vergessen der Roman «Finsteres Glück», den Stefan Haupt aus meiner Sicht überzeugend verfilmt hat. Es geht darin um einen Jungen, der seine Eltern und Geschwister durch einen Unfall verloren hat.
Sein Einfühlungsvermögen kommt seinen Romanen zugute
Da zeigt sich eine andere Seite von Lukas Hartmann: Neben dem historischen oder biografischen Zugang hat er ein Faible für Psychologisches und Pädagogisches. Er hat neben Germanistik und Geschichte auch ein paar Semester Psychologie auf dem Buckel und unter seinem eigentlichen Namen Hans-Rudolf Lehmann als Lehrer gearbeitet. So kann er sich in junge Menschen einfühlen, und das kommt nicht nur seinen Kinder- und Jugendbüchern zugute, sondern auch Romanen wie eben «Finsteres Glück» oder seinem vor kurzem erst erschienenen Roman «Ins Unbekannte», der Bezüge hat zu Sabina Spielrein, einer Patientin des berühmten C.G. Jung, die mit ihm eine Liaison hatte.
Bewegt hat mich vor einigen Jahren eine Rede, die Lukas Hartmann vor angehenden Lehrerinnen und Lehrern gehalten hat. Er spricht da nicht nur von der «gespaltenen» Schweiz, von der Armut, von den Arbeitslosen, Ausgesteuerten, Geflüchteten und der fehlenden Empathie, der Gleichgültigkeit, die man ihnen bei uns entgegenbringe.
Ein Autor, der sich selbst und uns unbequeme Fragen stellt
Hartmann erzählt auch, wie er sich einmal eines sechzehnjährigen Angolaners als Mentor angenommen habe. Der Junge sei Kindersoldat gewesen, ehe er allein in die Schweiz flüchtete. Der Junge berichtete immer detaillierter über seine grausame Kindheit. Bei einem Malermeister konnte er eine Lehre beginnen. Doch dann wurde sein Asylgesuch abgelehnt. Er hatte seine Geschichte erfunden, um Asyl zu bekommen. Zwei Jahre lang liess sich Hartmann von ihm anschwindeln.
Bald nach der Abschiebung bekam Hartmann einen Anruf von dem jungen Mann, der Geld wollte, um ein Malergeschäft zu eröffnen. Lukas Hartmann gibt zu, er habe sich geweigert, den Angolaner weiter zu unterstützen. Dabei hatte der junge Mann eigentlich dasselbe getan wie Hartmann: Er hatte eine Geschichte erfunden, um sich ein besseres Leben zu ermöglichen. Hätte er also nicht mehr Einfühlungsvermögen und Unterstützung verdient?
Diese Frage beschäftigte Hartmann. Sie beschäftigt ihn auch in seinen Romanen immer wieder, egal ob seine Figuren historisch verbürgt oder erfunden sind. Das ist in seinen besten Büchern immer zu spüren: Er macht es sich nie zu leicht. Und seinen Mitmenschen auch nicht, denn Lukas Hartmann stellt sich und uns immer wieder unbequeme Fragen.