Macron bewahrt Europa vor Le Pen: Warum sein Sieg in Frankreich kritisch gesehen wird
Emmanuel Macron hats gepackt – und zwar deutlich: Der 44-Jährige behält seinen mächtigen Job im Pariser Elysée für fünf weitere Jahre. Am Sonntagabend um Punkt 20 Uhr gaben die Behörden in Frankreich ein Resultat bekannt: Nach offiziellen Angaben kommt Macron auf 57,6 Prozent, Le Pen auf 42,4 Prozent.
Die Erleichterung der Macron-Anhänger war mit Händen zu greifen. Zum Schluss hatten sie doch noch zittern müssen, nachdem die Wiederwahl des amtierenden Präsidenten lange Zeit reine Formalitätssache schien. In den Umfragen für den zweiten Wahlgang war die Rechtspopulistin Marine Le Pen dem Amtsinhaber bis auf zwei Prozentpunkte herangerückt.
Im Pariser Hauptquartier von Macrons Partei «En Marche» erinnerte man sich plötzlich daran, dass die französischen Wähler amtierende Präsidenten gerne in die Wüste schicken. So geschehen bei Nicolas Sarkozy 2012 wie auch bei François Hollande 2017.
Macron stand hin und sprach 7 Stunden lang – ohne Unterbruch
Macron musste seine Strategie radikal ändern. Statt Marine Le Pen weiterhin bewusst zu ignorieren, griff er sie frontal an: Ihr «Rassemblement National» sei keine Sammlungsbewegung, wie es der Name verheisse, sondern ein «Familien-Clan».
Am Mittwochabend, im einzigen TV-Duell der beiden Kontrahenten, warf Macron Le Pen vor, solange sie ihren bei einer russischen Bank aufgenommenen Millionenkredit nicht vollständig zurückbezahlt habe, sei sie vom Kreml abhängig und könne nicht ein westliches Land regieren.
Macrons neue Offensivtaktik zahlte sich aus, wie das Wahlresultat belegt. Le Pen war als das entlarvt, was sie ist: eine Kandidatin, die schlicht nicht das Zeug zur Staatspräsidentin hat. Macron hat es, kein Zweifel. Mindestens, wenn es darum geht, Probleme zu verbalisieren: Er hat zu allem etwas zu sagen, und er sagt es mit Stil.
Auf diese Art begegnete Macron etwa die Gelbwestenkrise, die sein Land 2019 bedrohte. In der Normandie sprach er einmal sieben geschlagene Stunden am Stück. Die Zeitung «Le Monde» kommentierte, Macron sei ein «Casanova der Politik», der jedes Publikum zu charmieren und überzeugen verstehe.
Bloss: Seine schwungvoll präsentierten Ankündigungen waren rasch vergessen. So wie die Wahlversprechen seiner ersten Kampagne von 2017. Das wichtigste, eine überfällige Rentenreform, hat er bis heute nicht durchgebracht. Die 15’000 versprochenen neuen Gefängnisplätze: auf die lange Bank geschoben. Abbau von 50’000 Beamtenstellen: Während seiner ersten Amtszeit kamen zehntausende Verwaltungsposten hinzu. Einsparungen von 60 Milliarden Euro im Staatshaushalt: weit gefehlt. Es entstanden 190 Milliarden Zusatzausgaben – und zwar längst nicht nur covidbedingt, wie Macron behauptet.
Geschafft hat der Präsident eine schwierige Arbeitsmarktreform, die Lehrstellen schaffte und Kündigungen erleichterte. Der Rückgang der Arbeitslosigkeit auf 7,4 Prozent geht teilweise darauf zurück. Die Grundlage dafür hatte allerdings sein Vorgänger François Hollande gelegt. Von einer «Révolution», die Macron 2017 in einem Wahlkampfbuch versprochen hatte, war in seiner ersten Amtszeit nicht viel zu spüren.
Und jetzt? Für die zweite Fünf-Jahres-Runde machte Macron vor allem soziale, das heisst finanzielle Versprechen. Ein Beispiel: Ab diesem Sommer sollen Beschäftigte eine steuerfreie Kaufkraftprämie von bis zu 6000 Euro erhalten können.
Auf struktureller Ebene plant der wiedergewählte Staatsschef nur noch die Erhöhung des Rentenalters von 62 auf 65 Jahre. Doch Macron zweifelt offenbar selbst, ob ihm das beim zweiten Anlauf gelingen kann: Schon vor dem Wahlfinale sprach er von der Möglichkeit, das Rentenalter nur auf 64 Jahre zu erhöhen. Das Rentenalter 65 soll erst nach 2027 eingeführt werden. Da Macron verfassungsbedingt kein drittes Mal kandidieren kann, bedeutet das, dass er die heisse Kartoffel zumindest zum Teil an seinen Nachfolger weiterreicht.
Auch so werden diese fünf Jahre für ihn kein Zuckerschlecken: Die Wahlurnen sind noch nicht verräumt, da entsteht schon eine geballte Front aus linken und rechten Kräften gegen die «Mutter aller Reformen», wie man die Pensionsfrage in Frankreich nennt. Die «Unbeugsamen» des linken Volkstribuns Jean-Luc Mélenchon und die Le Pen-Anhänger werden in Macrons zweiter Amtszeit die eigentliche Opposition bilden. Eine harte, radikale, vielleicht auch gewalttätige Opposition.
Die alten Parteien hat er praktisch ausgelöscht
Die gemässigten Altparteien – die konservativen Republikaner und die Sozialisten – sind im Präsidentschaftswahlkampf mit 4,8 und 1,7 Stimmenprozent fast ausgelöscht worden. Das ist unter anderem Macrons Werk: Seit 2017 hatte er ihnen systematisch die Themen und die Spitzenvertreter abgeluchst.
Schon während der Wahlen wurde indessen klar, dass sich Macron damit selber ein Problem geschaffen hat. Hinter den Republikanern kamen die «Lepenisten» auf, hinter den Sozialisten die «Unbeugsamen». Sie werden Macron, den sie den «Präsidenten der Reichen» nennen, keine Ruhe lassen. Man braucht kein Hellseher zu sein, um vorherzusagen: Das durch schwere Krisen des ersten Macron-Mandates bereits stark erschütterte Frankreich steht vor weiteren politischen Beben.
Macron hat die Wahl: Entweder legt er die Hände in den Schoss und tut nur noch so, als ob. Sich den hyperaktiven Macron als «lame duck», als lahme Ente einer immobilen zweiten Amtszeit, vorzustellen, fällt allerdings schwer. Oder Macron wagt sich doch noch an seine Reformen. Dann wird es um den zivilen Frieden im Land bald einmal geschehen sein.
Das auch, weil Macron in seinem ersten Mandat zu einer eigentlichen Hassfigur für Links- und Rechtsaussen geworden ist. Und er gibt diesen Ressentiments mit seinen saloppen Sprüchen auch noch reichlich Nahrung. Genau wie mit seinen Allmachtansprüchen. «Jupiter», wie er sich einmal selber nannte, duldet im Olymp des Elysée-Palastes keine Partner neben sich, nur Ausführende seines Willens. Die Verfassung der Fünften Republik beruhe nun einmal auf dem Prinzip der «Vertikalität», dozierte er. Der Präsident sagt, wies läuft. Der Rest tanzt nach seinem Stock.
In einem wenig beachteten Wahlinterview spielte Macron unlängst gar mit der Idee, die fünfjährige Amtszeit des Staatschefs wieder auf sieben Jahre zu verlängern. Mit Gültigkeit schon für ihn selbst? Politische Gegner verdächtigen ihn jedenfalls, er wolle damit die verfassungsmässige Obergrenze von zwei Mandaten sprengen – wie dies etwa Wladimir Putin vorgemacht habe.
Die Deutschen konnte er bezirzen, Putin nicht
Vielleicht interessiert sich Macron auch deshalb so stark für die Weltpolitik. Mit Diplomaten kann Macron besser als mit dem gemeinen Volk. Bei seinem Duzfeind Putin beisst Macron aber auf Granit: Zwanzigmal hat er seit Beginn der Ukraine-Invasion mit ihm telefoniert. Erreicht hat er nichts.
Erfolg hatte Macron dort, wo seine Überzeugungen liegen: in Europa. Macron gelang es etwa, «les amis allemands», die deutschen Freunde, zu einer historisch bislang einmaligen gemeinsamen Schuldenaufnahme auf europäischer Ebene zu überreden. 750 Milliarden Euro flossen in den Covid-Wiederaufbaufonds.