Macron plant AKW nahe der Schweizer Grenze: Eine Schweizer Politikerin will in Paris offiziell Protest einlegen
Ist Atomkraft grün? Die simple Frage spaltet ganz Europa. Die EU-Kommission hätte heute Mittwoch auf Druck von Paris eigentlich eine Antwort darauf geben sollen: Frankreich, der grösste Atomstromproduzent Europas, Weltnummer drei hinter den USA und China, will die Kernkraft wegen ihres geringen CO2-Ausstosses für «nachhaltig» erklären lassen.
Damit erhielte man von Seiten der EU-Umweltfonds eine finanzielle Unterstützung und vor allem das Siegel einer umweltfreundlichen Energiequelle. Weil man sich aber in Brüssel nicht einig ist, hat man die Beantwortung der brandheissen Frage auf Mitte Januar vertagt.
So lange will man in Paris aber nicht warten. Schon im November hat Präsident Emmanuel Macron den Bau von voraussichtlich sechs neuen nuklearen Druckwasserreaktoren bekanntgegeben. Nach den heute rund 40 Jahre alten Meilern, deren Laufzeit kürzlich um zehn Jahre verlängert worden ist, soll damit eine neue Generation von Atomkraftwerken entstehen.
Protest aus Genf ist angekündigt
Brisant aus Sicht der Schweiz: Mindestens einer der Reaktoren soll offenbar in Le Bugey unweit der Schweizer Grenze zu stehen kommen. Der Name ist für Westschweizer Ohren so geläufig wie «Fessenheim» für Basler. Der idyllische Ort 70 Kilometer westlich von Genf verfügt bereits über vier fast 50-jährige Reaktortürme. Die Romandie-Kantone verlangen seit langem deren Abschaltung. Doch statt weniger Reaktoren zu halten, soll der Standort jetzt sogar ausgebaut werden.
Ob der Druckwasserreaktor der neuesten Generation tatsächlich in Le Bugey zu stehen kommt, ist noch nicht ganz sicher. Klar aber ist: Die Strombetreiberin Electricité de France sucht in der Gegend bereits Landparzellen für die Erweiterung.
Die grüne Genfer Bürgermeisterin Frédérique Perler will bei der Regierung in Paris vorstellig werden, sobald der Entscheid gefallen ist. Doch wenn die französische Atombranche im Januar das EU-Ökosiegel ergattern sollte, dann hätten Schweizer Einsprachen gegen Le Bugey wohl noch weniger Chancen als heute.
Frankreich sucht in Europa nach nuklearen Verbündeten
Für Frankreich ist der Entscheid darüber, ob Atomstrom inskünftig «grün» ist, von grösster Bedeutung. Präsident Emmanuel Macron ist in den letzten Monaten durch halb Europa getourt, um Alliierte zu finden. Deren zehn, darunter Polen, Ungarn und Tschechien, haben sich öffentlich für die «dekarbonisierte nukleare Energie» ausgesprochen. Fünf Staaten, darunter Österreich, Italien und vor allem Deutschland, sind dagegen – Berlin noch vehementer, seitdem die Grünen an der Regierung beteiligt sind.
Eine klare Mehrheit der Franzosen aber wünscht heute den Ausbau der Atomenergie. Der Anteil der Atomkraftgegner hat in den letzten Jahren von 34 auf 15 Prozent abgenommen. Das passt den französischen Behörden, die «le nucléaire» seit den Zeiten von Charles de Gaulle als saubere Energie preisen. Der im Land verstreute AKW-Park mit insgesamt 56 Reaktoren gilt zudem – notabene im Kontrast zur deutschen Gaspipeline Nord Stream 2 – als Garantie der nationalen Unabhängigkeit.
Als Deutschland nach dem Fukushima-Unglück von 2011 von der Atomkraft Abschied nahm, gelobte Frankreichs Präsident François Hollande, er werde den Atomstromanteil von 75 auf 50 Prozent senken. Stillgelegt wurde aber nur das Elsässer AKW Fessenheim im Sommer 2020. Greenpeace rechnet vor, dass Frankreich noch zwölf weitere Reaktoren abbauen müsste, um den Atomstromanteil auf 50 Prozent zu senken, kehrt der Trend bereits wieder.