Für alle etwas, für alle zu wenig. SRF 3 droht sich selbst überflüssig zu machen
Für Musikaficionados waren die abendlichen Specials auf SRF3 neben «punkt CH» die letzten Gründe den öffentlich-rechtlichen Radiosender einzuschalten. Umso grösser war die Aufregung als SRF 3 ankündigte, seine letzten klingenden Schmuckstücke, die Reggae-, Rock-, World- und Black-Music-Specials sowie die Hintergrundsendungen «Pop Routes» und «CH-Beats» einzustellen.
Stattdessen sollte das altgediente, bewährte Schlachtross «Sounds!» erweitert, aufgewertet und angepasst werden. SRF versprach dabei stilistische «Diversität», eine «ganzheitliche Musiksendung, die die verschiedenen Musikrichtungen miteinander «verbindet». «Wir wollen Genres sprengen», hiess es und keck wurde behauptet, dass das «einer weltweiten Entwicklung» entspräche. Eine gewagte These.
Der Start des neuen «Sounds!» war aber durchaus überraschend. Als Schwerpunkt und Album der Woche wurde «Motomami», das neue Werk der katalanischen Sängerin Rosalía vorgestellt. Jene Sängerin, die schon 2018 mit ihrem Album «El mal quere» und einer raffinierten Mischung von Flamenco und moderner Popmusik für Aufsehen sorgte und jetzt eindrücklich nachdoppelt. Kompetent wurden Einflüsse und Querbezüge aufgezeigt und Seelenverwandte präsentiert. Zum Beispiel den Badener Sänger Guillermo Sorya, der wie Rosalía, unter dem Künstlernamen Laskaar , seit Jahren urbane Sounds mit spanischer Sprache kombiniert. Das Versprechen, Genres zu sprengen, wird in der ersten Stunde fachkundig eingehalten.
Wie geduldig sind die alten «Sounds!»-Hörer
Die zweite Stunde wurde dann nach dem Geschmack der traditionellen «Sounds!»-Hörer gestaltet: Mit Musik der Alternative-Helden Pixies, von Nilüfer Yanya, Ducks LTD. und Andrew Bird. Wir hören Neues von Arcade Fire und erfahren, dass Will Butler die berühmte Band für seine Solokarriere verlassen hat. Spoon aus der letzten ordentlichen «Sounds!»-Sendung wird rezykliert. Der Appetizer des neuen Albums von Dirty Sound Magnet aus Fribourg macht neugierig auf ihre Version des Vintage-Blues-Rock. Das ist alles gut ausgewählt. Haben aber die traditionellen «Sounds!»-Hörer eine Stunde lang ausgeharrt, um endlich ihre Lieblingsmusik geniessen zu können? Kaum!
Zum Schluss kommen noch die Freunde der elektronischen Musik mit den Sofa Surfers und Joy Orbison auf ihre Kosten. Insgesamt ist durchaus der Versuch zu spüren, alle Geschmäcker irgendwie zu bedienen. Die Macher der neuen Sendung haben eine Gnadenfrist verdient. Nach einer Sendung ist es zu früh, den Stab zu brechen. Angekündigt sind noch die zwei neuen Podcasts «Sounds! Story» und «Sounds! Talk», die thematische Hintergründe und Einordnung versprechen sowie neue Formate auf dem Youtube-Kanal von SRF3.
Geht das Konzept der Kraut- und Rübensendung auf?
Trotzdem ist schwer vorstellbar, dass das neue Konzept aufgeht. Bietet es doch von allem Etwas, und doch von allem zu wenig. Ob sich die Hip-Hop-Fraktion sowie die Headbanger der Rock- und Metalfraktion von dieser Kraut- und Rüben-Sendung abgeholt fühlen, muss doch stark bezweifelt werden. Das neue «Sounds!» bedient alle und doch niemanden so richtig. Und sowieso: Die Anhänger der Roots- und Reggaemusik scheinen ganz ins Abseits gestellt worden zu sein. Die neue Musiksendung verbindet die Genres nicht, sie setzt sich dazwischen. Das neue «Sounds!» und damit auch gleich SRF3 droht, sich überflüssig zu machen.
SRF3 «Sounds!»: Mo 21 – 23 Uhr; Di – Fr 20 – 23 Uhr.