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Am Ende der Orbanisierung steht Putins Russland

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban radikalisiert sich immer mehr. Das liberale Europa muss sich wehren.

Viktor Orban hat es wieder getan: In einer programmatischen Rede am Sommertreffen seiner Fidesz-Partei in Baile Tusnad, einer ungarischsprachigen Gemeinde in Rumänien, sorgte er für einen Eklat. Anders als die liberalen Westeuropäer würden sich die Ungarn zwar mit ihren mitteleuropäischen Nachbarn vermischen. Nicht aber mit Migrantinnen und Migranten fremder Kulturen.

Orban: «Wir sind keine gemischte Rasse und wir wollen keine gemischte Rasse werden». Länder, wo sich die Bevölkerung mit Ankömmlingen von ausserhalb Europas zusammentun würden, hätten aufgehört, Nationen zu sein. Reinrassige und Mischrassige, Ungarn im Jahr 2022.

Freilich: Der «Bevölkerungstausch» ist eine krude Verschwörungstheorie, die Orban bereits seit Jahren verbreitet. Demnach organisieren liberale Eliten und «Globalisten» in Brüssel und anderswo eine gezielte «Umvolkung» des Weissen Europas mit Migranten aus Afrika und der islamischen Welt. Neu zumindest in qualitativer Hinsicht ist das offen rassistische Vokabular.

Bei Orban scheinen nach seinem zwei-Drittel-Wahlsieg vom Frühling sämtliche Dämme gebrochen zu sein. Ähnlich wie seinem Bruder im Geiste Donald Trump denkt er sich wohl, dass er mitten auf der Strasse jemanden erschiessen könne, ohne einen einzigen Wähler zu verlieren, wie der ehemalige US-Präsident mal gesagt hat.

Orban stellt Europa bloss – Putin lacht sich ins Fäustchen

Dass Orban ohne Rücksicht auf Verluste macht, was er gerade will, zeigt sich für die internationalen Beobachter vor allem in der Europa-Politik. Orban ist unkontrollierbar geworden. Er blockiert während Wochen das Öl-Embargo und erpresst seine EU-Partner.

Er hintertreibt offen die gemeinsame Sanktionspolitik und während alle EU-Länder unter Hochdruck versuchen, vom russischen Gas loszukommen, schickt Orban seinen Aussenminister nach Moskau. Der Auftrag: Entgegen der EU-Linie zusätzliche 700 Millionen Kubikmeter Gas bei Putin bestellen. Russlands Aussenminister Sergej Lawrow hat Recht, wenn er beim Handshake zum Deal schelmisch in die Kamera grinst. Ungarn gibt Europa und den Westen der Lächerlichkeit preis.

Viele fragen sich mittlerweile offen, was Orban eigentlich noch in der EU will. Vielleicht sind es die vielen Milliarden, die sein Land Jahr für Jahr im Rahmen der Strukturhilfen rübergeschoben bekommt und wovon nachweislich etliche Millionen direkt in die Taschen der Günstlinge im Dunstkreis der Regierung wandern.

Besonders bedenklich ist aber, dass die Orbanisierung Europas schon so weit vorangeschritten ist. Zwar fand sich Orban in letzter Zeit zunehmend isoliert. Die europäischen Christdemokraten haben ihn verstossen. Sogar sein bislang engster Partner Polen, das anders als Orban die Ukraine seit Kriegsbeginn tatkräftig unterstützt, hat sich abgewendet. Aber in vielen Ländern ist der Ungare längst zum Idol einer neuen, reaktionär-konservativen Bewegung geworden.

Marine Le Pen, die in Frankreich die Wahlen gewonnen hat, ist Orban-Fan. Ebenso Giorgia Meloni, die Anführerin der postfaschistischen Fratelli d’Italia und möglicherweise bald neue Ministerpräsidentin in Rom. Und selbstverständlich gehören auch hiesige Rechtspopulisten wie Roger Köppel zu den grossen Bewunderer des starken Mannes in Budapest. Sie alle kämpfen den gleichen Kulturkampf.

Was ist zu tun? Natürlich können nur die Ungarinnen und Ungarn entscheiden, ob sie sich dereinst von Orban lossagen wollen. Europa und mit ihr die Schweiz sollte sich aber für ihren Teil im Klaren sein: Einen Strassenkämpfer wie Orban, der Politik nicht als Konsensfindung, sondern blutigen Faustkampf begreift, kann man nur frontal begegnen. Das Schlechteste wäre es, sich der Naivität und Ignoranz gegenüber den Populisten hinzugeben oder ihnen gar hinterherzurennen.

Ansonsten läuft man Gefahr, bald in einer Gesellschaft aufzuwachen, wo Liberalismus, Offenheit und individuelle Freiheitsrechte längst begraben wurden. Um ein Bild dafür zu kriegen, braucht es keinen Rückgriff auf die 1930er Jahre. Es reicht ein kurzer Blick in Putins Russland.