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Massiv mehr Asylgesuche aus der Türkei – Flüchtlingszahlen aus der Ukraine gehen deutlich zurück

Die neusten Asylzahlen bringen überraschende Befunde. Der Druck auf die Schweiz steigt – nicht zuletzt wegen des Aufnahmestopps in Italien. Da das Nachbarland keine Dublin-Fälle mehr zurücknimmt, muss die Schweiz bereits 73 Asylverfahren übernehmen.

Im April sind in der Schweiz 1651 Asylgesuche eingereicht worden. Das sind zwar 242 oder knapp 13 Prozent weniger als im Vormonat, wie das Staatssekretariat für Migration (SEM) am Freitag mitteilt. Gegenüber dem Vorjahresmonats ist die Zahl der Asylgesuche jedoch um 383 gestiegen.

Wichtigste Herkunftsländer der Migrantinnen und Migranten im vergangenen Monat waren einmal mehr die Türkei (412 Gesuche, 41 mehr als im März), Afghanistan (279 Gesuche; -89) und Eritrea (132 Gesuche; -66). Laut SEM ist die Zahl der hängigen Asylfälle im vergangenen Monat ebenfalls leicht gesunken, nämlich um 192 auf noch 11’780 offene Gesuche.

Baume-Schneider senkt Prognose

Zusätzlich zu den eigentlichen Asylfällen ist im April 1209 aus der Ukraine geflüchteten Personen der Schutzstatus S erteilt worden, wie das SEM weiter schreibt. Das ist die tiefste Zahl seit dem Angriff Russlands auf sein Nachbarland. In 11’204 Fällen wurde der Schutzstatus S seit Ausbruchs des Ukraine-Kriegs bereits beendet. Per Ende April hatten diesen damit laut SEM insgesamt 65’644 Ukrainerinnen und Ukrainer in der Schweiz.

Justizministerin Baume-Schneider setzt sich für ein Ende des italienischen Aufnahmestopps ein. 
Keystone

Trotzdem spitzt sich die Lage im Asylbereich für Bund, Kantone und Gemeinden damit unter dem Strich wie erwartet weiter zu. Noch Anfang Jahr rechnete der Bund mit 24’000 bis 40’000 neuen Asylgesuchen. Zum Vergleich: Vergangenes Jahr zählte die Schweiz knapp 25’000 Asylgesuche. Inzwischen hat Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider die Zahlen für 2023 allerdings etwas eingegrenzt und geht noch «von 27’000 bis 30’000 Personen» aus. Aber Prognosen blieben in diesem Bereich extrem schwierig.

Lage spitzt sich dennoch zu

So haben bereits im März knapp 1900 Personen und damit deutlich mehr Migrantinnen und Migranten in der Schweiz ein Asylgesuch eingereicht. Dazu kommt der Aufnahmestopp in Italien: Der südliche Nachbar weigert sich seit Dezember, Geflüchtete zurückzunehmen, die bereits bei ihrer Reise durchs Belpaese ein Asylgesuch gestellt haben.

Betroffen von diesem Aufnahmestopp der neuen italienischen Regierung sind die Schweiz und alle anderen Dublin-Staaten. Der Bundesrat setze sich bilateral und auf internationaler Ebene für ein Ende des Aufnahmestopps ein, wie es in am Freitag publizierten Antworten auf Vorstösse aus dem Parlament heisst.

Bundesrätliche Lobbying-Offensive

So habe Aussenminister Cassis das Anliegen kürzlich bei einem Treffen in Rom angesprochen oder Justizministerin Baume-Schneider bei einem Treffen von EU-Spitzenpolitikern in Brüssel. Und die SP-Politikerin plant laut der Antwort auf SVP-Vorstösse aus dem Parlament, den Aufnahmestopp Italiens «vor der Sommerpause» erneut bei einem bilateralen Treffen in Rom auf die politische Agenda zu hieven.

Können aufgrund eines Dublin-Verfahrens abgewiesene Migranten nämlich nicht innert sechs Monaten überstellt werden, muss für sie in der Schweiz ein nationales Asylverfahren durchgeführt werden. Aufgrund des anhaltenden italienischen Aufnahmestopps dürfte dies also noch eine Weile so bleiben, wie die zuständige Bundesrätin Anfang Monat erklärte: «Ich sehe jedenfalls keine Anzeichen dafür, dass sich etwas bewegt», sagte Elisabeth Baume-Schneider zur NZZ.

Schweiz muss bereits 73 «italienische» Fälle übernehmen

Der Druck an Italiens Südgrenze sei enorm, so Baume-Schneider weiter, weshalb die Haltung teilweise verständlich sei. Sie plädiert darum für stärkere Grenzkontrollen. Denn viele Migrantinnen und Migranten kämen aus ökonomischen Gründen nach Europa und hätten folglich kein Recht auf Asyl.

Die Schweiz hat laut der Justizministerin Italien bereits in rund 300 Fällen um eine Rücknahme ersucht. Allerdings vergeblich. Wie ein SEM-Sprecher am Freitag auf Anfrage von CH Media sagt, ist die Zuständigkeit des Asylverfahren inzwischen in 73 Fällen auf die Schweiz übergegangen. Zum Vergleich: Noch Anfang Monat hatte diese Zahl laut Baume-Schneider bei «rund 30 Fällen» gelegen.

SVP will Druck auf Italien verstärken

Nichts wissen will der Bundesrat folglich von der Forderung von Lega-Politiker Lorenzo Quadri, das Dublin-Abkommen «zumindest solange» zu sistieren, bis Italien seinen Rücknahme-Verpflichtungen wieder nachkommt. Der Nationalrat politisiert in Bundesbern in der SVP-Fraktion.

Wie es in der am Freitag veröffentlichten Antwort auf die Interpellation des Tessiners heisst, erachtet der Bundesrat die für diesen Schritt nötige «schwerwiegende Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit» nicht als gegeben. Allerdings verdeutliche die einseitig erklärte Sistierung durch Italien, dass das Schengen-Dublin-System reformiert werden müsse.

Laut den am Freitag veröffentlichten Zahlen haben im April 1317 Personen die Schweiz kontrolliert verlassen, wurden in ihr Herkunftsland oder einen Drittstaat rückgeführt. Laut SEM hat die Schweiz bei 753 Personen einen anderen Dublin-Staat um Übernahme angefragt und 127 Personen konnten in den zuständigen Dublin-Staat überführt werden. Gleichzeitig wurde die Schweiz von anderen Dublin-Staaten um Übernahme von 264 Personen ersucht und 26 Personen wurden in die Schweiz überstellt.