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Mit Herz und Verstand

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Vom 350-Gramm-Frühchen bis zum 150-Kilo-Jugendlichen, vom «Schnodder» bis zur seltenen Magen-Darm-Erkrankung: Im Kinderspital des KSA werden pro Jahr über 70000 Kinder und Jugendliche behandelt.

«Bei uns herrscht ein spezieller Spirit. Es geht sehr unkompliziert zu und her», sagt Prof. Dr. med. Henrik Köhler, Chefarzt und Leiter des Kinderspitals des Kantonsspitals Aarau. «Wir sind ein Spital im Spital. Wir behandeln nicht erwachsene, sondern wachsende Menschen. Das ist jeden Tag eine Freude. Und eine grosse Verantwortung, der wir uns sehr bewusst sind. Unsere Patienten haben schliesslich noch das ganze Leben vor sich.»

Das Klima mag noch so unkompliziert sein – die Fälle sind durchaus höchst komplex. Von der Neonatologie, Kinderonkologie und Kinderchirurgie über die Kinderphysio- und -ernährungstherapie bis zum Zentrum für seltene Krankheiten – das Kinderspital des KSA sichert die medizinische Rundumversorgung von Kindern und Jugendlichen im Kanton und darüber hinaus. Das oberste Ziel der über 250 Mitarbeitenden – etwa 70 davon sind Ärzte – sei das Wohl der Kinder und deren Familien, betont der Chefarzt, «und die allermeisten Kinder gehen auch wieder gesund oder zumindest deutlich gesünder nach Hause».

Das sei ein Verdienst der sehr guten und engen interprofessionellen Zusammenarbeit sämtlicher Spezialistinnen und Spezialisten am KSA. Dazu zählen auch Experten aus der Kinderradiologie, Kinderanästhesie und HNO; die Kinder-Psychosomatik und -Psychologen helfen den Kindern und Familien in besonders schwierigen Situationen und wenn Körper und Psyche «durcheinander sind».

Zu den Spezialisten gehören auch das besonders geschulte Pflegepersonal sowie diverse Therapeutinnen und die Spitalpädagoginnen. Letztere begleiten Schüler, die länger im Spital bleiben müssen, schulisch oder betreuen Jüngere im spitaleigenen Kindergarten oder in der Krippe.

Kinder sind keine kleinen Erwachsenen

Die Spezialistinnen und Spezialisten des Kinderspitals behandeln Säuglinge, Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre, ambulant knapp 70 000 pro Jahr; davon allein etwa die Hälfte auf dem Notfall, Tendenz stark steigend. Die Spezialsprechstunden verzeichnen jährlich gut 25 000 Patienten, die Kinderarztpraxis (im «KSA am Bahnhof») knapp 10 000. Letztere sei ein niederschwelliges Angebot, nahe dran an der Bevölkerung, sagt Henrik Köhler, «um dem frappierenden Kinderarztmangel entgegenzuwirken». Auch würden sie im Kinderspital Hausärzte weiter-bilden, damit diese Erfahrung mit Kindern machen. «Sie sind dann nicht voll ausgebildete Kinderärzte; sie haben aber ein Grundrüstzeug für die Praxis, um Kinder gut behandeln zu können.» Denn Kinder sind keine kleinen Erwachsenen! So lautet der Leitsatz der Kinderärzte. Henrik Köhler erklärt ihn: «Der Kinderorganismus ist nicht nur eine Dimension kleiner. Der Stoffwechsel und die Hormonproduktion sind anders, ebenso wie Medikamente verarbeitet werden oder wie der Körper auf Infektionen reagiert.» Zudem, fährt Köhler fort, «können Kinder oft nicht so genau sagen, was für ein Problem sie haben. Umso wichtiger ist es, dass wir Kinderärzte herausfinden, wie wir helfen können – mit Herz und Verstand.»

Kinder hätten eine besondere Ehrlichkeit in der Krankheit, fährt der Chefarzt fort. «Sie gehen in der Regel sehr offen und ehrlich mit sich und auch mit den Geschwistern und den Eltern um.» Schwersterkrankte Kinder – was zum Glück sehr selten sei – hätten auch oft ein direktes, sehr natürliches Verhältnis zum Tod. «Diese Offenheit und Ehrlichkeit will und muss man als Arzt auch zurückgeben.»

Die Bandbreite der Krankheiten ist riesig

Zusätzlich zu den rund 70 000 ambulanten Patientinnen und Patienten werden am Kinderspital des KSA pro Jahr etwa 3500 junge Patienten stationär behandelt. Und zwar vom extremen Frühchen, das vier Monate zu früh auf die Welt gekommen ist und gerade mal 350 Gramm wiegt, bis zum über 150 Kilogramm schweren Jugendlichen. Auch die Bandbreite der Krankheiten ist riesig: «Wir sehen hier alles, vom normalen ‹Schnodder› bis zu komplexen und extrem seltenen angeborenen Erkrankungen.» Bei Letzteren sei ein erster wichtiger Schritt, diese überhaupt zu erkennen, sagt Köhler: «Da muss der Groschen fallen!» Und dann sei es wichtig, gut mit anderen Spezialzentren der Schweiz zu kooperieren. «Wir arbeiten eng mit anderen Zentren zusammen. Da ist Teamwork über alle Kantonsgrenzen hinweg gefordert.»

Viele seltene Krankheiten können in Aarau selbst behandelt werden: im Zentrum für seltene Krankheiten im Kinderspital des KSA. Tritt eine Krankheit in weniger als 1:2000 Krankheitsfällen auf, gilt sie als selten. Weltweit sind heute zwischen sechs- und achttausend seltene Krankheiten bekannt. In der Schweiz sind zirka 580 000 Menschen betroffen, das sind etwa 7,2 Prozent der Schweizer Bevölkerung. Zu den häufigen Erkrankungen, die im Kinderspital behandelt werden, gehören laut Henrik Köhler Mandel-, Ohren- und Nierenbeckenentzündungen, Krampfanfälle oder Entwicklungsstörungen. Frühgeborene sowie Krebskranke erfordern eine hoch spezialisierte Medizin. Und auch Kinder mit Rheuma, Lungen- und Herzerkrankungen oder Diabetes mellitus werden im Kinderspital betreut. «Von Kopf bis Fuss, von Gehirn über Bauch und Gelenke bieten wir nahezu alle Behandlungen an.» Auf dem Notfall sähen sie am häufigsten Erkältungserkrankungen, Fieber, Magen-Darm-Infekte, Arm- und Beinbrüche sowie Verstauchungen und Platzwunden. Schwere Notfälle seien zum Beispiel Gehirnhautentzündungen, Verkehrsunfälle, Blutvergiftungen oder das Verschlucken von Fremdkörpern. «Davon haben wir in der Pandemie deutlich mehr verzeichnet. Was wir für Sachen aus den Kindern geholt haben!» Köhler warnt insbesondere vor Knopfbatterien und starken Magneten. Erstere könnten sich innert weniger Stunden in die Speiseröhre brennen, Letztere ein Loch in der Darmwand verursachen.

Man spürt es: Der Klinikleiter macht mehr als einen Job. Sein Beruf ist ihm Berufung. Die Arbeit als Kinderarzt sei fordernd und anstrengend, aber auch sehr befriedigend, so Köhler. Entspannung hole er sich nicht nur ausserhalb des Berufslebens, betont er. «Die guten Momente, das Schöne und die Entspannung müssen für mich auch im Beruf sein, zusammen mit den Mitarbeitenden, den Kindern und den Familien.» Privat mache er etwas Sport oder lese ein spannendes Buch, um den Kopf frei zu machen. Momentan gerade «Tyll» von Daniel Kehlmann. «Ein Schelmenroman mit ein bisschen historischem Hintergrund. Kann ich nur empfehlen.»

Andreas Krebs

Prof. Dr. med. Henrik Köhler, Chefarzt und Leiter Kinderspital KSA.
Bild: zvg

«Auf dem Notfall arbeiten wir an der Grenze zu dem, was möglich ist»

Brennpunkt Notfall Das Kinderspital des Kantonsspitals Aarau verzeichnet jedes Jahr rund zehn Prozent mehr Fälle auf dem Notfall. «Auf dem Notfall arbeiten wir an der Grenze zu dem, was möglich ist», sagt der Chefarzt und Leiter des Kinderspitals des KSA, Prof. Dr. med. Henrik Köhler. «Wir verzeichnen jedes Jahr rund zehn Prozent mehr Fälle und bauen aus, wo wir können.» Mit dem Bezug des Neubaus im Jahr 2026 werde sich die Situation bei optimierten Raumverhältnissen grundlegend verbessern, ist er überzeugt. Mit ein Grund für die Zunahme der Notfallpatienten sei, dass viele Eltern heute früher zum Arzt gingen als einst. Zudem hätten mehr und mehr Familien gar keinen festen Kinder- oder Hausarzt. Auch wenn die Kapazitätsgrenzen mitunter überschritten sind: «Wir lehnen keine Kinder ab, die zu uns kommen», betont Henrik Köhler. Leichtere Fälle werden in der Notfallpraxis behandelt. Schwer erkrankte Kinder können umgehend ins Spital überwiesen werden. Laboruntersuchungen und bildgebende Diagnostiken können vor Ort durchgeführt werden. Dadurch werde eine optimale Qualität der Behandlung sichergestellt, so Henrik Köhler. (awi)

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