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Unter der Gürtellinie: Das Po-Dekolleté ist der Modegag der Stunde – und lässt tief blicken

Lange galt ein sichtbarer Tanga als vulgär. Heute darf dieser zur Schau gestellt werden – oder auch gleich die Po-Spalte. Der Allerwerteste hat in der Mode immer wieder seine Auftritte. Ein evolutionshistorischer Erklärungsversuch über die Faszination Hinterteil samt Buchtipp. 

Popo, Allerwertester, Gesäss, Hintern, Arsch oder Füdli: Von vulgär bis nobel-umständlich zurückhaltend, die Kehrseite des Menschen kennt die verschiedensten Titulierungen. So vielseitig diese ist, so unterschiedlich ausgestattet sind unsere Hinterteile: gross und rund, schmal und knochig, schwabblig und hängend oder knackig und trainiert. Und obschon der Po nicht zu den primären Geschlechtsmerkmalen gehört, wird er seit jeher sexualisiert.

Der erste Blick der Frauen gilt zwar den Augen des Mannes, als Nächstes wird jedoch mehr oder weniger verstohlen der Allerwerteste abgecheckt. Immer wieder haben das Umfragen belegen können. In einem Interview mit dem Magazin Focus erklärte die Psychologin Gerti Senger, dass dies mit archaischen Mustern zu tun habe: Ein muskulöser Hintern signalisiere der Frau, dass der Mann schnell rennen und sie unter Umständen retten könnte.

Das Blut der Männer wiederum gerät beim Anblick eines Frauenhinterns in Wallung, weil es in der Steinzeit bei den Menschen laut einigen Anthropologen üblich war, «doggy style», also von hinten zu kopulieren. So soll der Mann stets potenzielle Angreifer im Blick gehabt haben, aber eben auch den Popo seiner Frau. Und vergötterte diesen entsprechend. Restlos belegt ist das indes nicht. Aber die amerikanische Journalistin Heather Radke kommt in ihrem neuen Buch «Butts – a Backstory» zu diesem Schluss, nachdem sie sich mit Wissenschaftern über den menschlichen Hintern unterhalten hat.

Butts – a BackstoryHeather Radke, Simon & Schuster UK, 1. Ausgabe, Englisch. 38.90 Franken, zum Beispiel bei: www.orellfuessli.ch

Auch mit Dragqueens, Tanzlehrern und Füdli-Models hat sie geplaudert, und daraus ist ein höchst amüsantes Potpourri rund um die ernste Frage entstanden, was der Popo ist, was er bedeutet und was seine Faszination ausmacht.

Der Po wird inszeniert

Mit diesem Buch dürfte Radke den Nerv der Zeit treffen. Just in diesem Jahr rückt die Mode unser Gesäss ins Rampenlicht: Stars wie Dua Lipa, Julia Fox oder die Kardashians tragen entweder extrem tief geschnittene Hosen. Diese brachte Designer Alexander McQueen als «Bumster Pants» erstmals in den 1990er-Jahren für Frauen als auch Männer auf den Laufsteg. Die Hosen liessen den Tanga, die Po-Spalte oder gar der blanke Hintern in bester Bauarbeiter-Manier hervorblitzen. Oder aber die besagten Stars tragen Kleider mit gewagt tiefem Rückenausschnitt. Ganz nach dem Motto: Warum immer den Fokus auf den Busen lenken? Das Po-Dekolleté kann genauso entzücken.

Die Frage bleibt: Warum rücken ausgerechnet jetzt Designerlabels wie Versace, Blumarine, Coperni oder auch wieder Alexander McQueen unsere Rückseite derart in den Vordergrund? Das kann nicht nur daran liegen, dass der Stil der 1990er- und Nullerjahre ein ziemlich persistentes Comeback feiert. Denn anders als damals geht es heute nicht nur darum, tief sitzende Jeans zu tragen und damit mit der Mode zu gehen, sondern den Po zu inszenieren.

Der Modedesigner Alexander McQueen kreierte in den 1990er-Jahren die ersten «Bumster Pants» für Männer und Frauen. Hier ein männliches Model auf dem Laufsteg in New York.
Bild: Catherine McGann/Hulton Archive

Ein Hinterteil aus Watte

Unbestritten ist, dass der Reiz des Hinterteils und dessen Betonung die Mode immer wieder umtreibt. Lange symbolisierte ein grosser Po bei Frauen Wohlstand, Schönheit und Fruchtbarkeit. Vom 18. bis ins frühe 20. Jahrhundert wurde er entsprechend betont, etwa mit einem «Cul de Paris», einem Polster aus Watte, das besonders wohlhabende und adlige Frauen auf dem Gesäss trugen.

Erst die US-Society-Lady Gordon Conway setzte diesem Schönheitsideal 1910 ein Ende, wie Heather Radke in ihrem Buch schreibt. Selber mit einem sehr flachen Hinterteil ausgestattet, hatte Conway keine Chance bei den Herren. Und träumte von einer Gegenbewegung, die dem kleinen Füdli zu mehr Popularität verhelfen sollte. Mit entsprechend viel Kalkül begann sie deshalb, sich, ihre knochige Figur und ihren hedonistischen Lebensstil in Magazinen zu inszenieren, was schnell viele Nachahmerinnen fand: Die Flapper – junge Frauen, die kurze Jupes und Haare trugen, Jazz hörten und sich aus Prinzip unanständig verhielten – waren geboren. Und der dicke Hintern war damit plötzlich nicht mehr en vogue.

Die Kehrseite von Jennifer Lopez: die Sängerin bei einem Auftritt in Australien.
Theron Kirkman / EPA

Das hielt sich über Jahrzehnte so. Dann aber tauchte Sängerin und Schauspielerin Jennifer Lopez Ende der 1990er mit ihrem wahrhaft prächtigen Hinterteil auf der Bildfläche auf und stellte damit all die Mini-Versionen in den Schatten. Wenig später setzte Influencerin Kim Kardashian mit einem mit (unbestätigten Gerüchten zufolge) Implantaten versehenen Füdli dem Ganzen die Krone auf. Ihr ist es zu verdanken, dass heute ein «Brazilian Butt Lift», die Straffung und Vergrösserung des Pos, zu den beliebtesten Schönheitseingriffen weltweit gehört – den «Cul de Paris» braucht es nicht mehr.

Der Stolz auf den eigenen Allerwertesten

Aktuell sind zwar auch wieder schlankere Hinterteile gefragt, doch die dicken Pos verteidigen ihren Platz. Fazit: Alles geht, von rund und prall bis trainiert und flach. Jede Gesässform gilt in der Mode derzeit als schön, und das dürften der aktuelle Trend respektive die Trägerinnen mit tief ausgeschnittenen Rückendekolletés und den extrem tief sitzenden Hosen wohl auch aussagen wollen: Ich bin stolz auf meinen Allerwertesten, und was ihr darüber denkt, geht mir an ebendiesem vorbei. Sexuelle Befreiung unter der Gürtellinie quasi.

Es bleibt zu bezweifeln, dass sich das Po-Dekolleté in unseren Normalo-Breitengraden durchsetzen wird. Aber wenn mal ein Tanga hervorblitzt, bedenken Sie: Das könnte durchaus gewollt sein. Viele werden in einem solchen Moment aber ohnehin beschämt oder zumindest mit geröteten (Gesichts-)Bäckchen wegschauen. Der Anblick eines blanken Hinterteils bleibt eine intime Sache.