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Neues Album von Rammstein: Die Provokationen verpuffen

Rammstein veröffentlicht neue Musik. Das war auch schon deutlich aufregender. Und die deutschen Musiker deuten auf ihrer Platte auch den Abschied an.

Bei grossen Feuerwerken gibt es den Moment, wenn es kippt. Wenn plötzlich all die Böllereien im Nachthimmel in der Wirkungslosigkeit verpuffen. Ab dem sechzehnten Goldregen verlieren selbst hartgesottene Pyromanen die Faszination.

Dieser Effekt ist nun auch bei Rammstein eingetreten, den Firestartern aus Deutschland, die ihre Musik stets mit allerlei Skandalen und Provokationen unterfüttern: Stechschritt-Romantik, rollendes R, immer mal wieder eine Grenzüberschreitung ins Geschmacklose. Und nun auf «Zeit», ihrem achten Album, das diesen Freitag erscheint, wirkt nun alles irgendwo zwischen bieder und langweilig.

Lieder über die Vergänglichkeit

Selbst die Zauberformel der Feuerwerk-Sprengmeister – «einfach kräftig knallen lassen» – zündet bei Rammstein nicht (mehr). Zwar sind die Riffs immer noch scharf und das Schlagzeug klopft wuchtig voran, aber es erreicht selten einen aufregenden Level. Wenn Sänger Till Lindemann in «Dicke Titten» von der Lust auf ebendiese singt, dann fehlt der doppelte Boden. «Sie muss nicht schön sein, sie muss nicht klug sein /Nein/ Sie muss nicht reich sein, kein Modell mit langen Schlitten/doch: dicken Titten!»

Haha, er hat «Titten» gesungen. In einem Oktoberfestzelt oder beim Eimersaufen am Malle-Strand wird das zum «Das-wird-man-ja-noch-sagen-dürfen»-Hit wider das Gendersternchen. Wenn der Provokation die Ironie abgeht, dann wird sie, wie eben bei diesem Lied, toxisch. Dass Rammstein wohl im Song den vereinsamten Pornokonsumenten karikieren, geht bei all dem erwartbaren «Dicke-Titten»-Gegröle unter. Aber um sich darüber aufzuregen, ist es dann doch eine Schublade zu plump. Die Provokation verpufft. Sie ist egal geworden. Da hilft selbst die Blasmusik nicht, die der Brüste-Orgie vorangeht. Es ist tatsächlich selbst ein bisschen Humba-Humba-Tätätera-Musik geworden.

Skippen wir drei Songs zurück zu «OK». Das steht für «Ohne Kondom». Dazu wummt der Sound bretthart voran. «Ich liebe dich, wenn du mich lässt, und nagle dich drauf fest – Ohne Kondom.» Ein paar Wortspiele mit «Latte» und «Löchern, die gestopft werden müssen», gibt es auch noch. Irgendwo in einer zweiten Sekundarschule in Hintertupfingen kichert es grad ziemlich in der hintersten Reihe.

Natürlich: Rammstein ist mehr als Penis- und Titten-Witzchen. Die gehörten zwar schon immer zu ihrem Handwerkszeug. Es wirkte aber einfach schon deutlich drastischer, ironischer und vor allem: witziger. Und zu der Kunst des Sextetts gehörte immer, dass bei allen Derbheiten die Finessen dazwischen nicht einfach übertüncht werden. Das gelingt auf «Zeit» längst nicht immer. Die Maschine Rammstein hat sich selbst erschöpft. Vielleicht ist es Altersmilde, vielleicht Altersträgheit.

Zwei Konzerte in Zürich

Rammstein-Sänger Till Lindemann bei einem Konzert 2019.
Keystone

Das passt zum Grundthema der Platte. Viele der elf Songs drehen sich um die Vergänglichkeit. Es ist gar die Rede von Abschied. «Ein letztes Lied, ein letzter Kuss/ Kein Wunder wird gescheh’n/ Adieu, goodbye, Auf Wiedersehen», singen sie im letzten Lied. Voller Pathos. Grund zur sofortigen Rammstein-Panik gibt es aber nicht: Die Tour, verschoben aus der Coronazeit, ist längst geplant und startet bereits im Mai. Zweimal kommen sie auch in den Zürcher Letzigrund.

Da knallt es dann auch wieder kräftig. Und wenn Rammstein eines in ihren knapp 30 Jahren Bandgeschichte beherrschten, dann war es die Fähigkeit, Erwartungen zu unterlaufen. Vielleicht sagen sie einfach «Adieu», um danach umso lauter «Hallo» zu sagen. Aber ganz ehrlich: Es würde dieses Mal nicht wirklich verwundern, wenn es wirklich zum letzten Mal rumst. Sänger Lindemann wird im nächsten Jahr 60 Jahre alt. Ausgesorgt haben alle längst, und musikalisch – das zeigt «Zeit» – sind auch keine grossen Sprünge mehr zu erwarten.

Die Ruhe vor dem Schlussknall

Solides Fanmaterial ist die Platte. Ein bisschen mehr Keyboard und Synthesizer als auch schon, und einmal hupt sogar ein bisschen Autotune in die Stimme. Dazwischen, davor und danach: Breitwand-Gitarrenriffs, mit denen Boxen zersägt werden könnten. Rammstein-Stangenware. Metallig funkelnd und stets zackig brachial. Aber halt auch: sehr überraschungsfrei. Auch textlich gibt es ein paar Déjà-entendus: In «Meine Tränen» wird Missbrauch beklagt, in «Angst» geht es um die Furcht vor dem Unbekannten, und eigentlich immer geht es um die Faszination für die dunkleren Seiten des Lebens.

«Tiktak tiktak, du wirst alt, deine Zeit läuft langsam ab» singt Lindemann in «Zick Zack» und meint damit den körperlichen Zerfall sowie die operativen Wundermittel dagegen. Letztere haben Rammstein mit ihrem Sound (noch) nicht gefunden. Nachdem ihre Formel der steten Steigerung bislang immer aufgegangen ist, wirken sie jetzt zuweilen etwas gar pathetisch und hymnisch.

Bei einem Feuerwerk wäre das wohl die Vulkanpassage vor dem grossem Schlussknall.