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«Man hat die Vernichtung erreicht»: Was eine betroffene Jenische an Baume-Schneiders Entschuldigung stört

Bundesrätin Baume-Schneider hat sich am Donnerstagnachmittag mit Sinti und Jenischen persönlich getroffen. Dabei war auch die jenische Uschi Waser. Sie kann nicht nachvollziehen, wieso man nicht als Völkermord bezeichnen will, was ihr angetan wurde.

Wieso ist der heutige Tag wichtig für Sie, inwiefern sind Sie betroffen?

Ich bin als jenisches Kind geboren und wurde bis zu meinem 14. Geburtstag an 27 verschiedenen Orten platziert. Meine Kindheit war einsam und lieblos. Das Schlimmste erlebte ich aber erst, als ich meine eigene Akte las. Erst dann erfuhr ich, dass gar nicht meine Mutter schuld an meiner Misere war, sondern die Schweiz. Das hätte ich nie von meinem Heimatstaat erwartet, das hat mich erschüttert. Wichtig am heutigen Tag ist vor allem, dass wir Antworten erhalten, uns persönlich mit Frau Baume-Schneider treffen und unsere Anliegen platzieren dürfen.

Die Taten der Schweiz werden nicht als Genozid anerkannt. Was sagen Sie dazu?

So traurig das klingt, ich habe eigentlich nichts anderes erwartet vom Bundesrat. Ich verstehe schon, dass man diesen Begriff vermeiden will, es ist ja auch ein schreckliches Wort. Aber wo bitte ist denn unsere Kultur noch geblieben? Man hat die Vernichtung erreicht, Fahrende können heute ihre Kultur nicht leben.

Der Rechtsexperte sieht hinter den Massnahmen zur Geburtenverhinderung keine biologischen Vernichtungsabsichten und damit auch keine Genozidabsichten.

Auf der ersten Seite meiner Akte steht doch: «Es muss unter allen Umständen verhütet werden, dass über ein uneheliches Kind ein neuer Ableger entsteht.» Wer so etwas über Menschen schreibt, der will doch einen Völkermord begehen, das macht einen doch sprachlos! Aber was will ich schon gegen einen Rechtsexperten sagen.

Baume-Schneider will jetzt abklären, was nebst den schon getroffenen Massnahmen noch notwendig ist – was wäre das Ihrer Meinung nach?

Es braucht eine nachhaltigere Unterstützung für Jenische. Der Staat sollte beispielsweise eine Zusatzversicherung zahlen, sodass Betroffene psychologische Hilfe erhalten können. Ausserdem müsste die Schweiz aufrichtiger über ihre aktuelle Haltung zu den Fahrenden reflektieren. Sagen Sie mir, wo heute ein Fahrender ernsthaft seine Kultur ausleben kann. Das ewige Theater mit den Stand- und Durchgangsflächen in den Gemeinden zeigt doch, dass das Ganze noch nicht abgeschlossen ist.

Wann wäre es denn abgeschlossen?

Am Ziel sind wir erst, wenn der Letzte und die Letzte von uns direkt Betroffenen unter der Erde liegt. Das Aufbegehren der Jungen vor zehn Jahren ist erstickt worden – so kann man es auch machen.