Das reiche politische Erbe von Verena Diener: Die Politikerin ist im Alter von 75 Jahren verstorben
Es ist Politik, wie sie nur wenige beherrschen: Die Bevölkerung von unliebsamen Massnahmen überzeugen und sie dabei nicht zu vergraulen. 1996 hatte Verena Diener, als Zürcher Gesundheitsdirektorin gerade mal ein Jahr im Amt, den Auftrag der Regierung gefasst, 450 Spitalbetten zu schliessen.
Experten hielten es in jenen Jahren für unwahrscheinlich bis unmöglich, auf Geheiss der Politik öffentliche Spitäler aufzugeben. Als Grüne und als Frau musste sich Diener zusätzlich beweisen. Doch sie setzte sich durch – und legte die erste Spitalliste vor. Nebst dem Rotkreuzspital in Zürich schloss sie bis 1999 die Regionalspitäler Adliswil, Bauma, Dielsdorf, Pfäffikon und Thalwil. Gegenüber dem Schweizer Fernsehen SRF sagte sie, es wäre einfacher gewesen, bei jedem Spital ein paar Betten zu schliessen. «Doch damit hätten wir den Sparauftrag nicht erfüllen können.»
Ihr Vorgehen sucht seither viele Nachahmer, ohne Erfolg. Sinnbildlich für das Scheitern der anderen sind die bis heute kritisierten Überkapazitäten in der stationären Versorgung. Während eine Spitalschliessung anderen Regierungsräten das Amt kostete, wurde Diener problemlos wiedergewählt.
Ihr Erfolgsrezept? Sie erklärte die Notwendigkeit nüchtern, informierte die Bevölkerung vor Ort. Und sie zeigte den Spitalmitarbeitenden Alternativen auf: Dass die Arbeitsplätze nicht verloren sind, sondern sich umwandeln, in Spitex oder Arztpraxen.
Stets hatte man das Gefühl, es ginge ihr alleine um die Sache, nie um Profilierung oder Eigennutz. Als sie acht Jahre später Bilanz zieht, bekommt sie doppelt recht: Die Versorgung hat sich nicht verschlechtert, doch gemäss Schätzungen der Regierung konnte der Kanton jährlich 200 bis 300 Millionen Franken sparen.
Immer pragmatisch, aber nie den einfachen Weg
Das Umkrempeln der Zürcher Spitallandschaft war ihr Gesellenstück, das ihr weit über die Kantons- und Parteigrenzen Achtung verschaffte.
Dass sie auch mit sich selbst haderte, war nicht erkennbar. Auf einen möglichen Konflikt angesprochen, dass sie als Grüne Politikerin Spitalschliessungen verantworten muss, kommentierte sie selbstbewusst, das habe im weitesten Sinne mit ihrer Grundhaltung zu tun: «Wir dürfen nicht über unsere Verhältnisse leben. Wir dürfen der nächsten Generation keinen Schuldenberg überlassen.»
Als Grüne startete sie 1987 als Nationalrätin in Bern durch, wo sie zehn Jahre lang politisierte. Zwischen 1992 und 1995 führte sie zudem die Geschicke der noch jungen Grünen Partei. 1995 wählten sie die Zürcherinnen und Zürcher in die Regierung.
2004 kommt es dann zum folgenschweren Bruch mit der Partei, an deren Aufbau sie selbst mithalf, als Balthasar Glättli den damaligen Co-Präsidenten Martin Bäumle vom Thron stösst. Bäumle und Diener gründen die Grünliberale Partei, 2007 schafft Diener den Sprung in den Ständerat und setzt sich dabei gegen Ueli Maurer (SVP) und Chantal Galladé (SP) durch – ohne auf die Basis einer grossen Partei zurückzugreifen.
Diener setzt sich auch weiterhin für Umweltanliegen ein, für den Atomausstieg, für die Energiestrategie 2050. Ihre Partei würdigt sie zum Abschied mit den Worten: «Verena war eine Umweltschützerin der ersten Stunde – und blieb dies bis zu ihrer letzten.» Sie habe erkannt, dass Ökologie und Ökonomie nicht im Widerspruch stehen, sondern umweltschonendes Handeln nachhaltiges Wirtschaften erst ermögliche.
Oder wie es Diener einst selbst formulierte: Politik und Gesellschaft müssten lernen, mit dem auszukommen, was erwirtschaftet wird. «Wir müssen lernen, in allen Lebensbereichen bescheidener zu werden.»
Nach über 30 Jahren in der nationalen und kantonalen Politik wirkte sie zuweilen streng und unnahbar. Enge Vertraute sagen, sie sei ein sehr herzlicher und liebevoller Mensch gewesen.
Verena Diener hat 2004 den Brustkrebs ein erstes Mal besiegt, zehn Jahre später bekämpfte sie ihn ein zweites Mal. Fast zeitgleich verstarb ihr Mann, Max Lenz. Das Schicksal prägte fortan auch ihre politische Arbeit, namentlich ihr Widerstand gegen eine automatische Organspende. Am Freitag vor einer Woche ist sie 75-jährig verstorben. Sie hinterlässt zwei Töchter und sechs Nichten.