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Zum Tod des albanischen Autors Ismail Kadare: Der Apparatschik der Weltliteratur verklärte den Diktator Enver Hoxha

Er stilisierte sich gerne zum Regimegegner, der unter dem albanischen Diktator Enver Hoxha gelitten habe. Doch er war eher ein Profiteur des Despoten. Sein Fall zeigt, dass auch ein politisch belasteter Autor ein paar gute Bücher schreiben kann.

Er stand als Weltautor aus Albanien jahrzehntelang ganz oben auf der Liste der Literaturnobelpreis-Anwärter. 2005 erhielt er immerhin den International Booker Prize. Lange hatte er eine starke Lobby im Literaturbetrieb, nicht zuletzt in der Schweiz, wo Egon Ammann Kadares Werk in seinem Verlag mit Herz und Seele gegen alle Anschuldigungen verteidigte. Und die gab es zuhauf.

Während Ammann und die Kadare-Fans den Autor gerne als Dissidenten hinstellten, der sich im Schatten der stalinistischen albanischen Terrorherrschaft Enver Hoxhas mutig gegen den Totalitarismus und die Doktrinen des s

ozialistischen Realismus aufgelehnt habe, warfen ihm Kritiker vor, ein Günstling Hoxhas gewesen zu sein.

Für Kadare gab es drei Überlebensarten

Der 1936 geborene Kadare wuchs in derselben Stadt wie Hoxha auf, nur wenige Strassen vom Geburtshaus des Diktators entfernt. In dessen System wurde alles überwacht und reglementiert, und wer dort eine schriftstellerische Karriere anstrebte, musste sich mit der Macht arrangieren.

Kadare hat in seiner Dankesrede für den Booker Prize drei Überlebensarten aufgezählt, wie man als Autor in der albanischen Diktatur überleben konnte. Man konnte ein Konformist sein oder mit Schreiben aufhören, oder man konnte so schreiben, als wäre man ein freies Individuum.

Für ihn kam nur Letzteres infrage, wie er sagte: «Wir stützten uns, indem wir zu schreiben versuchten, als ob es das Regime nicht gab. Manchmal trugen wir den Sieg davon, manchmal nicht. Was uns glücklich machte, war die Idee, dass wir unseren geknechteten und eingesperrten Mitbürgern ab und zu etwas geistige Nahrung verschaffen konnten.»

Er besang den Tyrannen und seine Nomenklatura

In seinen Romanen zeigt er oft ein überzeitliches Albanien, in dem zwar Gewalt, totalitäre Mechanismen, Vendetta-Strukturen nicht fehlen. Aber die konkrete Gewalt des Hoxha-Regimes kommt kaum vor. Taucht der Despot doch einmal auf, dann verklärend wie im Roman «Der grosse Winter». Einmal besang er den Tyrannen und seine Nomenklatura: «Mit dir, der Partei, / Wird noch die schrecklichste Pein / Schöner als jede Freude …»

Als in den 80er-Jahren bereits Diadochenkämpfe um die Nachfolge des hochbetagten Hoxha im Gange waren, würdigte Kadare noch die wunderbaren Leistungen des Genossen Enver auf dem Gebiet der Literatur.

Lieber aber verherrlichte er die rebellische albanische Seele und die Leidens- und Widerstandsfähigkeit der Bevölkerung. Er befürwortete auch voller Inbrunst den isolationistischen Kurs, mit dem Hoxha sich dem Würgegriff der Bruderstaaten Sowjetunion und China entziehen wollte, weil diese der reinen Lehre Stalins untreu geworden seien.

Er frisierte die eigenen Romane aus der kommunistischen Ära

Nach der Wende und dem Zusammenbruch der Diktatur rechtfertigte sich Kadare im Buch «Albanischer Frühling» und tat so, als sei er ein überzeugter Regimekritiker und Feind Hoxhas gewesen. Er war sich auch nicht zu schade, seine früheren Romane aus der stalinistischen Epoche zu schönen und die eigene Vergangenheit zu glätten.

Tatsache ist: Noch als Hoxha die Grenzen des Landes verriegelte und rund 700’000 Bunker gegen alle erdenklichen Invasoren bauen liess (während er gleichzeitig den Abriss von 2200 Moscheen, Kirchen, Synagogen befahl und den ersten «atheistischen Staat» ausrief), durfte Kadare weiterhin reisen und in ausländischen Verlagen publizieren. Eine Vorzugsbehandlung, die er sich verdienen musste.

Widerstand wäre «glatter Selbstmord» gewesen

Er war seit 1946 Mitglied von Hoxhas Partei der Arbeit und durfte am Gorki-Institut in Moskau studieren, was nur ergebenen Apparatschiks möglich war. Von 1970 bis 1982 gehörte er dem albanischen Scheinparlament an. Sich zu weigern, wäre «glatter Selbstmord» gewesen, meinte Kadare. Auch in der regimenahen Schriftstellerliga spielte er eine führende Rolle. Die Bücher des «Staatsdichters» waren Pflichtlektüre.

In Interviews verteidigte er sich gegen den immer wieder laut gewordenen Vorwurf, ein Profiteur des Diktators gewesen zu sein. «Zwanzig Jahre lang attackierte mich die Partei unablässig. Glauben Sie im Ernst, man hätte mich derart stark kritisieren können, wenn ich Envers Protektion genossen hätte?»

Zweifellos war auch Kadare Repressalien ausgesetzt. Es gab Publikationsverbote. Aber erst 1990, als Hoxha längst tot war, verliess er Albanien Richtung Frankreich. In seiner zweiten Heimat Paris erhielt er Ehrenorden und sass in der Académie française.

Die Vergangenheit lebt unheilvoll fort

So politisch belastet Ismail Kadare war, schrieb er doch neben viel Schwachem auch ein paar starke Romane, in denen er zu einer albanischen Version des magischen Realismus fand. Zu Weltrang gelangte er mit dem in den frühen 70er-Jahren in Westeuropa erschienenen Roman «Der General der toten Armee», der in Frankreich mit Marcello Mastroianni und Michel Piccoli in den Hauptrollen verfilmt wurde.

Darin muss etwa 20 Jahre nach der italienischen Besetzung Albaniens im Zweiten Weltkrieg ein ehemaliger General zusammen mit einem Geistlichen die sterblichen Überreste gefallener Landsleute nach Italien überführen. Der Auftrag wird zum Albtraum, schon weil der General die Gräber nicht findet. Die Vergangenheit lebt unheilvoll fort, während die Gegenwart von der Präsenz der Toten beherrscht wird.

Ein misslungenes Werk ist dagegen der Roman «Das verflixte Jahr». Darin erzählt Kadare eine schauerliche Gründungssaga des albanischen Staates. Man verliert sich in einem Gewimmel von Volksstämmen. Auf dem kleinen Fleckchen Erde scheint jeder jedem den Krieg zu erklären. Halsadern werden schnell «dick wie Blutegel». Es wird gekreuzigt und lebendig begraben.

Kaum eine Romangestalt hat leider das Glück, vom Autor zum Leben erweckt zu werden. Der penetrante Nationalstolz des Autors fällt in dem Buch ziemlich unangenehm auf. Kadare beendete «Das verflixte Jahr» 1985, in Hoxhas Todesjahr. Wer aber eine postume Abrechnung mit dem Diktator erwartet, kennt Kadare schlecht. Er verstand sich zeitlebens als unpolitischer Dichter. Gestern ist Ismail Kadare im Alter von 88 Jahren in Tirana gestorben.