Teilzeit, Heiraten, Kinderkriegen: Wie Frauen künftig besser informiert wichtige Entscheide treffen
Der Vorgang ist typisch: Sobald das erste Kind kommt, reduziert die Mutter das Pensum – oder hängt den Brotjob gleich ganz an den Nagel. In den meisten Schweizer Haushalten kümmert sich immer noch die Mutter um den Nachwuchs, die Väter arbeiten weiter. Der Einschnitt ist massiv: Das Einkommen der Mütter sinkt um durchschnittlich 70 Prozent nach der ersten Geburt.
Inwiefern die Frauen aufgrund mangelnder Kinderbetreuung oder aus eigener Motivation auf Arbeit verzichten, gehört zu den müssigen Debatten der Gleichstellung. Eine neue Studie zeigt nun aber, dass sich viele Frauen der langfristigen Auswirkungen eines solchen Entscheids nicht oder zu wenig bewusst sind: dass sie sich beim Einkommen und vor allem auch bei der Rente in einen massiven Nachteil manövrieren. Die Forschung spricht von «child penalty», der Geburt eines Kindes als Haupttreiber von Ungleichheit zwischen den Geschlechtern auf dem Arbeitsmarkt.
Ein Forscherteam um Michaela Slotwinski von der Universität Zürich hat die Erwerbstätigkeit von 2500 Lehrerinnen in der Deutschschweiz untersucht. Die Lehrerinnen, die alle schon Kinder haben und teilweise ihre Pensen stark reduzierten, wurden befragt, inwiefern mögliche Einkommens- und Rentenausfälle ihre Entscheidung beeinflusst haben. Denn gemäss Studie entgehen der durchschnittlichen Lehrerin (Mutter mit 60-Prozent-Pensum) rund 1,8 Millionen Franken Einkommen über das ganze Erwerbsleben und etwa 2000 Franken monatliche Rente – verglichen mit einer Vollzeitstelle.
Die Vermittlung dieses Wissens zeigte Wirkung: Abgesehen davon, dass fast alle Lehrerinnen erklärten, diese Informationen seien entscheidend für ihre Zukunftsplanung, passten dieFrauen ihre Erwerbstätigkeit auch tatsächlich an.Sechs Prozent der Frauen, die sich zuvor keine Gedanken um die finanziellen Auswirkungen machten, erhöhten ein Jahr nach der Vermittlung dieses Wissens ihr Pensum.
Laut Studie hat diese Anpassung handfeste Auswirkungen:«Drei von zehn Teilnehmerinnen, die sich der Kosten nicht bewusst waren, haben ihr Arbeitspensum um etwa einen halben Tag pro Woche oder 10 Prozentpunkte erhöht», erklärt Studienautorin und Arbeitsmarktökonomin Michaela Slotwinski in einem Interview mit «Soziale Sicherheit». Das klinge nach wenig, habe aber einen bedeutenden Einfluss.
Was ein halber Arbeitstag ausmachen kann
So reduziert laut Studie ein zusätzlicher halber Arbeitstag die Einkommenseinbusse um 18 Prozent, die Pensionskassenrente steigt derweil um rund 15 Prozent. Die Studie schliesst mit der Empfehlung, mehr Frauen über die Risiken von Tiefstpensen aufzuklären, um diesen Entscheid informiert zu fällen und das Erwerbsleben auch langfristig zu planen.
Genau hier knüpft eine Initiative des Frauendachverbands Alliance F und des Eidgenössischen Gleichstellungsbüros an: Am Mittwochabend startete die Kampagne«cash or crash»mit dem Ziel, dass mindestens 111’111 Personen Entscheide wie Kinderkriegen, Heiraten oder Pensenreduktionen mit dem notwendigen Wissen über mögliche Konsequenzen fällen können – und so Risiken wie Altersarmut oder finanzielle Abhängigkeiten minimiert werden.
Ein eigens entwickelterRechnerhilft, die finanziellen Konsequenzen individueller Entscheide anhand des Lohnes, des Arbeitspensums und der privaten Situation abzubilden. Spielerisch lässt sich erkunden, wie sich ein weiteres Kind oder eine Trennung langfristig auf die eigenen Finanzen auswirken. Und lohnt es sich allenfalls, in Karriere, Lohnverhandlungen oder eine Ausbildung zu investieren?
Obwohl hauptsächlich Frauen von Renten- und Einkommensnachteilen betroffen sind, richtet sich der Rechner an alle Personen zwischen 25 und 40 Jahren, die prägenden Entscheide fällen müssen.