Quellen berichten übereinstimmend: Feuerpause und Gefangenenaustausch in Gaza stehen kurz bevor
Die Hoffnungen auf eine Feuerpause nach mehr als sechs Wochen Krieg und fast 15’000 Toten im Gaza-Streifen ruhen auf einem winzigen Land am Persischen Golf: Das Emirat Katar stand am Dienstag nach mehrwöchigen Verhandlungen kurz vor der Verkündung einer Feuerpause und einem Gefangenenaustausch zwischen der Hamas und Israel.
Die Gespräche seien «in der Endphase», erklärte die Regierung in Doha. So weit wie Katar ist noch kein Vermittler im Gaza-Krieg gekommen. Die Verhandlungen des Emirats zeigen, welche Akteure im Nahen Osten erfolgreich Einfluss nehmen können – und welche nicht.
Sprecher der Hamas sowie Medien in Katar und Israel bestätigten am Dienstag, dass eine Einigung bevorstehe. Hamas-Chef Ismail Haniyeh sagte der Nachrichtenagentur Reuters, seine Palästinensergruppe habe ihre Antwort auf Vorschläge Katars an die Regierung in Doha geschickt. Eine Einigung sei nah.
Fast wortgleich äusserten sich israelische Regierungsvertreter nach einem Bericht des israelischen Fernsehsenders Channel 12. Der katarische Nachrichtensender Al-Jazeera meldete, die katarische Regierung werde die Vereinbarung verkünden. Wann das geschehen sollte, war noch offen.
Die Umrisse einer Einigung waren bereits erkennbar. Die Hamas soll 50 Geiseln freilassen, während Israel laut der US-Nachrichtenseite «Axios» 150 palästinensische Häftlinge aus den Gefängnissen entlassen wird. Für den Austausch soll eine drei- bis viertägige Feuerpause organisiert werden, die auch der Lieferung von Hilfsgütern in den kriegszerstörten Gazastreifen dienen würde.
Feuerpause birgt Chance auf eine diplomatische Konfliktlösung
Eine zeitlich begrenzte Feuerpause und die Freilassung einiger Gefangener würden den Gaza-Krieg nicht beenden: Hamas-Kämpfer haben seit ihrem Angriff auf Israel am 7. Oktober mehr als 200 Geiseln in ihrer Gewalt; in israelischen Gefängnissen sitzen Tausende palästinensische Häftlinge. Beide Seiten könnten eine Feuerpause nutzen, um ihre Truppen für neue Kämpfe zu rüsten.
Doch eine Kampfpause würde die Kriegsparteien unter grossen internationalen Druck setzen, die Waffenruhe zu verlängern, um das Leid der Zivilbevölkerung zu lindern und diplomatischen Bemühungen für eine Konfliktlösung eine Chance zu geben.
Katar würde mit einer erfolgreichen Vermittlungsmission zwischen der Hamas und Israel einen diplomatischen Triumph feiern. Das Emirat hat direkte Kontakte zur Hamas-Führung, deren Mitglieder in Doha wohnen, und pflegt enge Beziehungen zum Iran, dem wichtigsten militärischen Unterstützer der Hamas.
Katar finanzierte in den vergangenen Jahren mit Zustimmung Israels zudem die Hamas-Verwaltung in Gaza, was den Einfluss des Emirats auf die Palästinensergruppe noch steigert. Gleichzeitig hat Katar seit Jahren gute Verbindungen zu Israel und ist ein wichtiger Partner der USA am Golf.
Andere Nahost-Staaten wie Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) können weniger ausrichten, weil sie die Hamas wegen ihrer Zugehörigkeit zur islamistischen Bewegung der Muslimbruderschaft auf Distanz halten. Auch die Türkei spielte – anders als von Präsident Recep Tayyip Erdogan dargestellt – in den bisherigen Verhandlungen über eine Feuerpause nur eine Nebenrolle.
Russland und China nur in untergeordneten Rollen
Vor dem Gaza-Krieg gab es in der Region viel Kritik an der Zusammenarbeit Katars mit dem Iran und der Hamas. Doch sollte nun eine stabile Feuerpause vereinbart werden, dürfte sich die Regierung in Doha in ihrem Kurs bestätigt sehen. Im September hatte Katar bereits einen Gefangenenaustausch zwischen Teheran und den USA vermittelt. Mit einem Deal für Gaza würde das politische Gewicht des Emirats im Nahen Osten weiter steigen.
Auch die relative Bedeutung der Grossmächte im Nahen Osten lässt sich an den Bemühungen um eine Feuerpause ablesen. Die USA sind in die Verhandlungen über die Waffenruhe eingebunden und setzen ihren Einfluss auf Israel in den Gesprächen ein. Präsident Joe Biden telefonierte vorige Woche zweimal mit dem Emir von Katar, Scheich Tamim bin Hamad al-Thani.
Dagegen spielt Russland, das mit seiner Militärhilfe für Syrien seit 2015 seine Ambitionen als Nahost-Macht signalisierte, im Gaza-Krieg keine Rolle. Auch von der aufstrebenden Weltmacht China ist wenig zu sehen. Zwar schickte Beijing einen Gaza-Sondergesandten in den Nahen Osten.
Doch die diplomatischen Initiativen der chinesischen Regierung seien reine Symbolpolitik, sagt Joe Macaron, Nahost-Experte bei der US-Denkfabrik Wilson Center. «China hat keine Erfahrung als Vermittler im arabisch-israelischen Konflikt und kaum Einfluss auf die beteiligten Akteure», sagte Macaron zu CH Media. Mit den Verhandlungen über die Gaza-Feuerpause könnte sich andeuten, wer auch bei künftigen Krisen im Nahen Osten wichtig sein wird – und wer nicht.