Entsetzen nach Bluttat an US-Grundschule – Motiv wirft Fragen auf
Es sind herzzerreissende Szenen, die sich am Montag vor der Covenant-Grundschule in Nashville im US-Bundesstaat Tennessee abspielen. Verängstigte Kinder verlassen in langen Reihen das zum Tatort gewordene Schulgebäude, halten sich dabei fest an den Händen. In ihren Gesichtern: Angst, Entsetzen, Fassungslosigkeit.
Von ihren Lehrern und Polizisten werden sie zu Bussen begleitet, die sie an einen sicheren Ort bringen sollen. Denn ihre Schule ist kein sicherer Ort mehr: Eine schwer bewaffnete Frau hat hier kurz zuvor sechs Menschen erschossen, darunter drei Kinder im Alter von acht und neun Jahren. Sie war hier einst selbst zur Schule gegangen.
Die Polizei war am Montagvormittag gegen 10.00 Uhr (Ortszeit) zum Tatort gerufen worden. «Als die Beamten im zweiten Stockwerk ankamen, sahen sie eine Schützin, eine Frau, die schoss», sagte Don Aaron von der Polizei in Nashville. «Wir wissen, dass sie mit mindestens zwei Sturmgewehren und einer Handfeuerwaffe bewaffnet war.» Die 28-Jährige wurde daraufhin von den Einsatzkräften erschossen. Damit sei Schlimmeres verhindert worden, machte John Drake, Polizeichef von Nashville, später deutlich. Bei den drei getöteten Erwachsenen handelt es sich der Polizei zufolge um Mitarbeiter der Schule, ihr Alter wird mit Anfang 60 angegeben.
Die Covenant-Grundschule ist eine christliche Privatschule, die auf einem grünen Hügel Nashvilles liegt – der Hauptstadt des Bundesstaats Tennessee mit knapp 700’000 Einwohnern. Die Schulgebäude aus grauem Stein liegen in einem beschaulichen Wäldchen. An diesem Montag im März strahlt die Sonne am Himmel, Kirschbäume stehen in voller Blüte. In der Schule werden Kinder von der ersten bis zur sechsten Klasse unterrichtet. Es gibt dort auch einen Kindergarten. Nach Angaben der Lokalzeitung «The Tennessean» werden hier rund 200 Kinder betreut. Die Einrichtung wirbt mit einem christlichen Leitbild und damit, den Kindern einen sicheren Ort zu bieten, an dem sie sich frei entfalten können.
Die Ermittler werten nun Material aus, das Aufschluss über das Motiv der Schützin geben könnte. «Wir haben ein Manifest, wir haben einige Schriften, die sich auf diesen Tag, diesen Vorfall beziehen, und die wir auswerten», sagte Polizeichef Drake. Es seien auch Lagepläne der Schule gefunden worden, auf denen unter anderem Überwachungskameras und Eingänge eingezeichnet waren. Die Schützin zerschoss eine gläserne Aussentür und verschaffte sich so Zugang zu der Schule. Sie trug laut Polizei noch mehrere Runden Munition bei sich und wollte möglicherweise auch noch andere Tatorte ins Visier nehmen. Ein in der Nähe der Schule geparktes Auto habe Hinweise zur Identität der Täterin gegeben, sagte Drake.
Bei der Schützin handelt es sich nach Angaben der Polizei um eine Frau aus Nashville, die sich selbst als Transgender identifizierte. Als Transgender werden Menschen bezeichnet, die sich nicht – oder nicht nur – mit dem Geschlecht identifizieren, das bei ihrer Geburt dokumentiert wurde. Über einen etwaigen Zusammenhang zwischen der Lebensgeschichte der Schützin und ihrer Tat sagten die Ermittler nichts. «Es gibt im Moment eine Theorie, über die wir vielleicht später sprechen können, aber sie ist nicht bestätigt», sagte Drake. Die Frau hatte ihre Waffen nach Polizeiangaben legal erworben.
In den USA gehören Schiessereien und selbst Amokläufe zum traurigen Alltag. Sehr oft kommen bei derartigen «mass shootings» Sturmgewehre wie beim Militär zum Einsatz, mit denen sich in kurzer Zeit viele Kugeln abfeuern lassen. Ganz überwiegend sind die Täter Männer. Während in vielen Ländern ein aufwendiges Prozedere durchlaufen werden muss, um an eine Waffe zu kommen, ist es in vielen Teilen der USA ein Leichtes, sich eine Waffe zu beschaffen – selbst solche, die eigentlich für Kriege entwickelt wurden. In den Vereinigten Staaten sind nach Angaben des Forschungsprojektes Small Arms Survey mehr Waffen im Umlauf als irgendwo sonst auf der Welt. Mit weitem Abstand.
Das sorgt auch an anderer Stelle für düstere Rekorde: Laut Daten der Gesundheitsbehörde CDC wurden allein im Jahr 2020 in den USA rund 20 000 Menschen erschossen – mehr als 50 pro Tag. Im gleichen Jahr waren Schusswaffenverletzungen erstmals Todesursache Nummer eins für Kinder und Jugendliche im Land, noch vor Verkehrsunfällen. Nach Angaben des Weissen Hauses kamen in den vergangenen zwei Jahrzehnten mehr Schülerinnen und Schüler durch Schusswaffen ums Leben als Polizisten und Soldaten im aktiven Dienst zusammen.
Selbst Grundschulen betroffen
Selbst Grundschulen werden in fürchterlicher Regelmässigkeit zum Tatort – wie im Dezember 2012, als ein 20-Jähriger in Newtown im Bundesstaat Connecticut 20 Kinder und sechs Lehrer erschoss. Auch damals herrschte riesiges Entsetzen im Land, doch es folgten weitere, nicht weniger unbegreifliche Gräueltaten: So erschoss im Mai 2022 im texanischen Uvalde ein 18-Jähriger an einer Grundschule 19 Kinder und zwei Lehrerinnen. Und nun wieder solch ein Fall, diesmal in Nashville.
US-Präsident Joe Biden forderte nach der neuen Attacke umgehend eine Verschärfung der Waffengesetze im Land – einmal mehr. Doch schon seine Vorgänger scheiterten immer wieder mit dem Versuch, das von parteipolitischen Gräben durchzogene Parlament zu einem Verbot von Sturmgewehren und anderen wirkungsvollen Schutzmassnahmen zu bewegen. Biden geht es da nicht anders. Deshalb behilft er sich mit kleineren Eingriffen, für die er nicht auf den Kongress angewiesen ist. Ohne eine substanzielle Reform des Waffenrechts sehen Experten allerdings keinerlei Chance auf echte Veränderungen.
Um die durchzusetzen, wären Biden und seine Demokraten auf die Kooperationsbereitschaft der Republikaner im Kongress angewiesen – doch die ist bei diesem Thema nicht in Sicht. Bemühungen um schärfere Waffengesetze laufen seit vielen Jahren ins Leere – vor allem, weil Republikaner dagegen sind. Und weil die Waffenlobby, allen voran die mächtige National Rifle Association (NRA), vehement jeden Versuch bekämpft, Waffenbesitz stärker zu regulieren. Daran haben auch die verheerenden Amokläufe an Grundschulen nichts geändert. (dpa)