Ärzte sollen einen Tag pro Woche forschen können – Aargauer Spitäler erhalten Geld zur Kompensation
Im Spital geht einem die Arbeit nicht aus. So haben etwa Ärztinnen und Ärzte in der Regel mehr als genug zu tun. Oft nimmt sie die klinische Arbeit so stark ein, dass keine Zeit mehr bleibt, sich der Forschung zu widmen. Das ist nicht nur schade für die Betroffenen, sondern auch für die Wissenschaft. Denn dort fehlt es an Forschenden mit Praxiserfahrung.
Im Aargau soll sich das jetzt ändern. Der Verein für medizinische Forschung und Innovation gibt Ärztinnen und Ärzten die Möglichkeit, den Spitalalltag hinter sich zu lassen und ihre Praxiserfahrung in die Wissenschaft einzubringen. Am Montagabend wurde er unter Anwesenheit zahlreicher Gesundheitsvertreterinnen und -vertreter im Regierungsgebäude in Aarau gegründet.
Gründungspartner des Vereins sind das Kantonsspital Aarau (KSA), das Kantonsspital Baden (KSB), die Hirslanden Klinik Aarau, die ETH Zürich, das Forschungsinstitut Empa sowie das Paul Scherrer Institut (PSI). Als eine Art Patron des Vereins fungiert der Aargauer Gesundheitsdirektor Jean-Pierre Gallati. Er sagte am Montagabend: «Wir wollen die Zusammenarbeit zwischen Spitälern und Forschungsanstalten intensivieren.»
1 Million Franken Startkapital
Ziel sei es, die medizinische Forschung zu verbessern und neue Erkenntnisse in die Kliniken zu bringen, erklärte Gallati. Im Kanton Aargau arbeiteten Spitäler und Forschungsstätten auch vorher schon zusammen.So kooperiert etwa das KSB mit dem Paul Scherrer Institut.
Gallati betonte, dass im Aargau medizinische Forschung auf hohem Niveau stattfinde, auch wenn der Aargau keine Universität habe. In seiner Rede erwähnte erden Aargauer Genforscher und Nobelpreisträger Werner Arber, der just am Tag der Vereinsgründung seinen 95. Geburtstag feiern durfte. Für den Gesundheitsdirektor ist klar: «Im Aargau gab es schon immer gescheite Leute. Es ist Zeit für einen Nachfolger.»
Ob aus dem Verein gleich ein Nobelpreisträger oder eine Nobelpreisträgerin hervorgeht, wird sich zeigen. Das Fundament ist jedenfalls gelegt: Insgesamt steht 1 Million Franken Startkapital für die nächsten fünf Jahre zur Verfügung. Das Geld stammt je zur Hälfte vom Kanton und den Partnerorganisationen. Damit werden die finanziellen Einbussen der Spitäler kompensiert, die durch die Absenzen entstehen. In Zukunft will der Verein jedes Jahr mindestens 200’000 Franken in Form von Spenden einnehmen und sucht dafür auch Privatpersonen, die medizinische Forschungsprojekte unterstützen möchten. Im Aargau betritt der Verein damit Neuland.
Pro Jahr sollen fünf bis acht Personen einen Forschungsplatz erhalten. Keine finanzielle Unterstützung erhalten die Spitäler für leitende Ärzte und Chefärztinnen. Der Verein fokussiert sich auf jüngere Ärztinnen und Assistenzärzte, die doktorieren möchten oder bereits einen Doktortitel haben. Sie sollen dem Spital einen Tag pro Woche entzogen und in die Forschung eingebunden werden. Für sechs bis 24 Monate können sie dann berufsbegleitend mit Teams an der ETH, der Empa oder am Paul Scherrer Institut forschen.
Schwerpunkte sind Krebsforschung und bildgebende Verfahren
In der individuellen Ausgestaltung sei man flexibel, betonte Christian Rüegg. Er ist Direktor des Paul Scherrer Instituts in Villigen und Initiant des neu gegründeten Vereins. «Die Einstiegshürden sollen so klein wie möglich sein.» Wer einen Platz erhalte, entscheide ein Gremium «nach harten wissenschaftlichen Kriterien».
Mit dem Verein wollen das PSI und die Partner die Grundlagenforschung stärken. Manchmal dauere es 15 bis 20 Jahre, bis Erkenntnisse in der Praxis angewendet werden können. Dass mache die Finanzierung schwierig. Auch, weil die Spitäler unter Kostendruck stünden. Doch laut Rüegg ist Grundlagenforschung elementar, um Fortschritte in der Medizin zu erzielen: «Es ist wichtig, dass so früh wie möglich Praktiker bei diesen Projekten mitmachen.»
Am PSI liegt der Schwerpunkt der medizinischen Forschung in der Krebsforschung sowie bei den bildgebenden Verfahren, mit denen Daten von Organen und Strukturen der Patienten erhoben werden können. «So lassen sich etwa Metastasen schneller und besser erkennen.» Im kommenden Sommer sollen die Forschungsstellen ausgeschrieben werden, sodass die ersten Ärztinnen und Ärzte noch in diesem Jahr ihre Forschungsarbeit aufnehmen können.