Sie sind hier: Home > Musikszene > Neue Platte der Young Gods: Zwischen Trip und Yoga from Hell

Neue Platte der Young Gods: Zwischen Trip und Yoga from Hell

Die Young Gods wagen sich an «In C» von Terry Riley. Herausgekommen sind 58 Minuten, die sich für Young-Gods-Verhältnisse fast schon sanft ins Hirn fräsen.

Irgendwann wird der Sog dieses Stücks hypnotisch. Die Wiederholungen schleichen sich durch die Gehirnwindungen und es hat ein bisschen was von einem Trip. Die Young Gods schaufeln sich durch «In C», diesen Klassiker der Minimal Music. 53 kurze Patterns, die alle um den Ton C kreisen hat Terry Riley 1964 geschrieben. Vieles überlässt er den Musikerinnen und Musikern. Wann die Patterns gewechselt werden, entscheidet kein Dirigent, sondern jedes Bandmitglied selbst. Sie spielen längst auch nicht immer dasselbe Motiv. Diese überlagern sich. Mit jedem Wechsel entsteht ein neues Klangbild. Auch zu der Wahl der Instrumente gibt es keine Vorgaben.

Von «In C» gibt es unzählige Versionen. Mal eingespielt von hundertköpfigen Grossformationen, mal von kleineren Truppen. Durch die wenigen Vorgaben klingen die Versionen grundverschieden. Auch die Länge variiert, von kurzen Aufnahmen bis zu mehrstündigen Stücken findet sich alles. 3470 Sekunden ist die Version der Young Gods lang – knapp 58 Minuten. Gespielt wird im Trio. Franz Treichler, Cesare Pizzi und Bernard Trontin. Schlagzeug, Gitarre, Sampler. Und los.

Alles ist im Fluss

Die richtig krachenden, scharfen Young-Gods-Ausbrüche fräsen sich nur dann und wann durch den Song. Für die Band aus Freiburg ist es eher ein sanftes Stück Musik. Zeitweise ist fast alles weggedampft bis auf einen pulsierenden Ton, dann wieder gurgelt eine Sample-Wand. Die Variation von Tempo und Lautstärke geht hier bis ans Äusserste. Zwischen filigran und brachial liegen oft nur wenige Takte. Und doch ist immer alles im Fluss. Nichts wirkt gekünstelt. Hier sind drei Musiker am Werk, die derart aufeinander eingegroovt sind, dass die DNA der Band auch in den ausuferndsten Momenten immer spürbar bleibt.

Viel der Faszination am «In C» der Young Gods liegt aber in den weniger hochgeputschten Momenten. Wenn die Musik irgendwo im vermeintlich gemütlichen Trab liegt, sich aber immer wieder neue Dinge entwickeln. Mal sind es kleine Frickeleien, die sich nach und nach zu einem neuen Motiv schrauben, mal wechselt plötzlich die Klangfarbe und es wechselt von gemütlich zu bedrohlich. In ganz wenigen Momenten ist auch die Stimme Treichlers zu hören. Es klingt ein bisschen wie Yoga from Hell: «Ooooooooooom» und dazu flirrt die Sample-Maschine und gefühlt ganz weit hinten schwingt ein Schlagzeug-Becken langsam ins Nichts.

Dem Nichts Raum geben

Treichler, Pizzi und Trontin lassen auch diesem Nichts Raum. Es kann auch still werden. In der heutigen Zeit, wo alle Lieder auf streamingkonforme 2 Minuten 30 Sekunden runtergebrettert sind, eigentlich etwas Unerhörtes. Ruhe braucht Zeit und Zeit haben wir nicht. Dabei ist auch das Nichts eben nicht Nichts. Bewusst gesetzte Ruhe macht jeden der nachfolgenden Schläge noch wuchtiger und selbst ein dunkles Summen hat nach einer Pause viel mehr Kraft.

Das ist eine der Spezialitäten der weltbekannten Schweizer Band, die zahlreiche berühmte Musikerinnen und Musiker beeinflusst hat: Ihr Sound hat immer Wucht. Er hat etwas Drängendes, klingt, als hätte jemand gerade eine Zündschnur angezündet und nun warten wir alle auf den Knall. Während ihre Stücke sonst oft tatsächlich knallen, bleibt es bei «In C» bei der Ahnung einer kommenden Explosion. Es wabert und zischt und zirpt und funkelt schon, aber es bleibt auch für Young-Gods-ungeübte Ohren im erträglichen Bereich. So richtig böse wird es nie.

Mut braucht dieses «In C» trotzdem. Und vor allem braucht es Zeit. Erst mit den gesamten 3470 Sekunden entfalten sich die ganze Schönheit und Virtuosität des Stücks. Das Eintauchen lohnt sich. Spätestens wenn der Sog seine volle Wirkung entfaltet, vergisst man die Zeit sowieso.