Kritik für «Kriegsrausch»-Aussagen: Alain Berset erhält einen Denkzettel von der SP – und Unterstützung von Rechts (aktualisiert)
Es brodelt in Bundesbern. Bundesrat Alain Berset steht in der Kritik für Aussagen, die er in einem Interview mit der «NZZ am Sonntag» gemacht hat. Er plädiert darin für eine Schweizer Neutralität mit «hartem Kern» und verteidigt das Verbot für die indirekte Weitergabe von Schweizer Waffen an die Ukraine. Mit Russland müsse man verhandeln, «je früher, desto besser». Und: Er spüre einen «Kriegsrausch in gewissen Kreisen». Das erinnere ihn an den Beginn des Ersten Weltkriegs, als die Meinung vorherrschte, dass sich die Spannungen zwischen den Konfliktparteien nur in einem Krieg entladen könnten.
Aus dem Interview geht nicht hervor, in welchen «gewissen Kreisen» dieser «Kriegsrausch» herrschen soll. Richtet sich Alain Berset gegen Bundesratskollegin und Verteidigungsministerin Viola Amherd, von der bekannt ist, dass sie die Weitergabe von Schweizer Kriegsmaterial erleichtern möchte? Spielt er auf die Befürworter im Parlament an? Oder meint er die europäischen Staaten?
So oder so: Die Reaktionen auf das grosse Interview liessen nicht lange auf sich warten. Die Parteipräsidenten von FDP, Mitte und GLP gaben sich gegenüber SRF schockiert von Bersets «Kriegsrausch»-Aussagen, halten es für ein gefährliches Narrativ und finden, er habe sich in der Wortwahl vergriffen.
Denkzettel von der SP
So weit, so erwartbar. Aber auch von seiner SP erhält Alain Berset Kritik. Wichtige SP-Exponenten nutzen nun die Gelegenheit, um ihrem Bundesrat ein Warnsignal abzusetzen gegen kommunikative Alleingänge, die gegen die Parteimeinung gehen.
«Die einzige Person, die Krieg führt, ist Herr Putin», sagt SP-Nationalrat und Aussenpolitiker Eric Nussbaumer. Es sei vermessen, von einem Kriegsrausch zu reden, wenn lediglich darüber nachgedacht werde, wie der Ukraine bei ihrer Selbstverteidigung geholfen werden kann. «Russland führt Krieg, die Ukraine verteidigt sich.»
Auch SP-Fraktionspräsident Roger Nordmann weist gegenüber SRF den Vorwurf des Kriegsrausches zurück: «Nicht in der Schweiz ist man in einem Kriegsrausch, sondern Herr Putin ist in einem Kriegsrausch.»
Co-Parteipräsident Cédric Wehrmut sagte in einem Interview mit der NZZ, er teile zwar den Wunsch von Alain Berset nach einem baldigen Kriegsende, «aber weder seine Analyse noch die Schlussfolgerung». Es gebe momentan keine Perspektiven für Verhandlungen mit Putin. Der Gesamtbundesrat sei «leider wenig kohärent». Wenn er schon gegen die Wiederausfuhr von Munition sei, müsste er wenigstens an der Spitze sein, wenn es um die Sanktionen gegen Oligarchen gehe, oder um den Rohstoffhandel, den Schuldenschnitt für die Ukraine und um humanitäre Hilfe.
SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer stellt gegenüber «Blick» klar, man teile Bersets Analyse nicht und habe ihm das so mitgeteilt. SP-Vizefraktionschefin Samira Marti sagt, Friedensverhandlungen mit Putin seien im Moment nicht möglich, das sei die traurige Wahrheit. «Diese zu verschleiern, ist problematisch.»
Der Ärger unter den SP-Parlamentariern ist offensichtlich. Nationalrat Matthias Aebischer wendet sich in der Wandelhalle sofort ab, als er auf Bersets Äusserungen angesprochen wird. Und wie reagiert Jacqueline Badran? Die meinungsstarke Nationalrätin schweigt beharrlich zum Thema. Auf Twitter hat sie Wehrmuts NZZ-Interview aber zum Lesen empfohlen.
SVP und Mass-voll bejubeln Berset
Rückhalt erhält Bundesrat Berset für einmal von seinen natürlichen politischen Feinden. Die Position des Bundespräsidenten sei «vernünftig», sagt SVP-Parteipräsident Marco Chiesa gegenüber SRF. Das Neutralitätsrecht sei klar: keine Waffen an Kriegsparteien. SVP-Nationalrat Franz Grüter sagt, es gebe nichts einzuwenden gegen die Ausführungen des Bundespräsidenten. «Was spricht dagegen, wenn man sich für Friedensverhandlungen einsetzt? Es wäre schön, wenn die anderen Länder auch in einer schwierigen Lage die Neutralität der Schweiz respektieren würden.»
Unterstützung erhält Berset ebenso von der Bewegung Mass-voll, also von jenen Menschen, die Berset während der Pandemie stark kritisiert haben. «Die Friedensbewegung verbucht weitere Erfolge!», schreibt Mass-voll auf Twitter und zitiert aus dem Berset-Interview der «NZZ am Sonntag». «Unser Engagement wirkt, weiter so!»