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Schutzwesten und Helme für die Ukraine: Die Grünliberalen ritzen an der Auslegung der Neutralität

Dass die Schweiz der leidenden Zivilbevölkerung in der Ukraine keine Schutzwesten liefert, empfinden die Grünliberalen als stossend. Sie fordern, dass der Schutz der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten künftig höher gewichtet wird als neutralitätsrechtliche Bedenken. Das kommt nicht überall gut an.

Auf den letzten Drücker hat die GLP in der Herbstsession einen Vorstoss eingereicht. Darin fordert die Partei, dass «der Schutz der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten beim Export von Schutzmaterial höher gewichtet werden soll als eine allfällige Verletzung des Gleichbehandlungsgebots». Heisst konkret: In Zukunft soll es möglich sein, Schutzmaterial wie Helme und Westen in Konfliktgebiete zu liefern – und zwar unter Beibehaltung der Neutralität. Oder anders gesagt: Das Neutralitätsrecht soll kein Hindernis für die Lieferung von Schutzmaterial an kriegsinvolvierte Länder sein.

GLP-Fraktionschefin Tiana Moser.
Bild: Keystone

GLP-Nationalrätin und Fraktionschefin Tiana Moser begründet die Motion damit, dass die Zivilbevölkerung in solchen Konflikten besonders leide und «eine enge Auslegung des Neutralitätsrechts» Hilfe für die notleidende Bevölkerung verunmögliche. Das zeige der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine «in aller Deutlichkeit». Dass der Bundesrat «eine allfällige Verletzung des Gleichbehandlungsgebots» höher gewichte als den Schutz der Zivilbevölkerung, sei «nicht mit unserer humanitären Tradition vereinbar», so die Zürcher Aussenpolitikerin weiter.

Das Gleichbehandlungsgebot sieht vor, dass ein neutraler Staat wie die Schweiz keine Exporte durch private Unternehmen an die eine Konfliktpartei verbieten und gleichzeitig an die andere erlauben kann. Im Fall des Ukraine-Kriegs dürfte die Schweiz also nur Exporte an die Ukraine erlauben, wenn sie das auch für Russland tut.

Unterstützung auch aus anderen Fraktionen

Im Parlament ist der Vorstoss der Grünliberalen nicht nur parteiintern abgestützt. So wird etwa auch Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter den Vorstoss unterstützen, schliesslich gehe es um den Schutz der Zivilbevölkerung, so die Baselbieterin auf Anfrage.

Auch SP-Nationalrätin Franziska Roth erachtet die Motion als «prüfenswert». Die Solothurnerin ist der Meinung, dass «jede Unterstützung der Zivilbevölkerung, welche neutralitätsrechtlich unproblematisch ist», umgesetzt werden soll.

SP-Nationalrätin Franziska Roth.
zvg

Gleichwohl stellt Roth klar: «Wenn der Vorschlag die Neutralität ritzen würde, dann bin ich dagegen. Das muss zuerst genau abgeklärt werden.» Sie sei deshalb gespannt auf die Antwort des Bundesrates. Dieser müsse «klar aufzeigen, welche Konsequenzen der Vorstoss nach sich ziehen würde», so die Sozialdemokratin. Schliesslich helfe eine Verletzung des Neutralitätsrechts «weder der Ukraine noch der Schweiz».

Roth befürchtet, dass durch eine solche Verletzung die Möglichkeiten, welche die Schweiz als neutrales Land habe, geschwächt würden und sich das Land nicht «für die Respektierung des Völkerrechts und somit eine baldige Friedenslösung einsetzen» könnte.

SVP befürchtet Einschränkungen der humanitären Hilfe

Der Luzerner SVP-Nationalrat Franz Grüter.
Jakob Ineichen

Davor warnt auch der Luzerner SVP-Nationalrat Franz Grüter. «Sobald wir beginnen, Kriegsmaterial in Konfliktländer zu liefern, können wir unsere Rolle als neutrales Land und humanitäre Helferin nicht mehr gewährleisten.» Deshalb dürfe die Schweiz «unter keinen Umständen» Kriegsmaterial in Länder liefern, die sich in bewaffneten Konflikten befinden. «Da müssen wir gut aufpassen», so der IT-Unternehmer.

Den Befürchtungen entgegnet GLP-Nationalrätin Moser: «Die Motion erfordert keine Gesetzesanpassung und ist mit dem Neutralitätsrecht vereinbar.» Dies zeige auch das Beispiel Österreichs, welches «als neutrales Land schon mehrmals Schutzmaterial für zivile Zwecke in die Ukraine geliefert» habe.

Bund argumentiert mit Sanktionsregime

Die Frage, ob die Schweiz auch Schutzhelme und Westen an die Ukraine liefern darf, beschäftigt Politik und Gesellschaft bereits seit Kriegsbeginn im Februar. Zuständig für die Ausfuhr solcher Schutzgüter ist hierzulande das Staatssekretariat für Wirtschaft. Dieses argumentiert nicht mit dem neutralitätsbedingten Gleichbehandlungsgebot, sondern mit dem aktuell geltenden Sanktionsregime: Bei Westen, Helmen oder auch Nachtsichtgeräten handle es sich um sogenannte «Dual-Use»-Güter, die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke verwendet werden können. Da diese Güter den durch den Bundesrat beschlossenen Sanktionen unterliegen, können sie weder in die Ukraine noch nach Russland geliefert werden, so die Behörde.