18 Grad in Räumen, kein Tumbler und kein Netflix – so will der Bundesrat notfalls einen Blackout verhindern
Seit Monaten wappnet sich die Schweiz für einen Strommangel im Winter. Am Mittwoch hat der Bundesrat den langersehnten Notfallplan vorgestellt für den Fall, dass hierzulande der Strom knapp wird. Bis zum 12. Dezember haben betroffene Akteure Zeit, sich zu den Vorschlägen zu äussern. Wie beim letzte Woche vorgestellten Gas-Notfallplan wählt der Bundesrat ein mehrstufiges Vorgehen.
Im Falle einer unmittelbar drohenden Mangellage richtet der Bund zuerst dringliche Sparappelle an alle Stromverbraucher. Parallel dazu kann der Bundesrat bereits erste Verwendungsbeschränkungen und Verbote erlassen. Sie erfolgen in drei Eskalationsschritten – angefangen bei Komforteinschränkungen bis hin zu einschneidenden Massnahmen wie Betriebsschliessungen. Danach kann der Strom für grosse Unternehmen kontingentiert werden. Als «ultima ratio» greift der Bund zum äussersten Mittel und veranlasst Netzabschaltungen, um einen «Blackout» zu verhindern.
Tempo auf Autobahnen senken und Beleuchtung einschränken
Zudem sieht der Bundesrat etwa vor, dass die elektrische Beleuchtung öffentlicher Strassen und Plätze eingeschränkt wird. Anlagen, Geräte und Lichtquellen, die nicht zwingend benötigt werden, sollen vom Netz getrennt werden. Auch soll die allgemeine Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen auf 100 km/h beschränkt werden.
Ziel der Interventionen ist es, die Netzstabilität und damit die Stromversorgung aufrechtzuerhalten. «Jede Stufe an Massnahmen hat zum Ziel, schlimmere Folgen und härtere Massnahmen zu vermeiden», argumentiert der Bundesrat. Den Plan hat er in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft und den Kantonen erarbeitet, um den volkswirtschaftlichen Schaden möglichst gering zu halten.
Das sind die konkreten Vorschläge:
Eskalationsschritt 1
Haushalte dürfen ihre Wäsche mit maximal 40 Grad Wassertemperatur waschen. Gewerblich genutzte Wäschetrockner, Bügeleisen und Wäschemangeln können täglich während maximal 12 Stunden betrieben werden. Keine Einschränkungen gibt es etwa für Spitäler, Alters- und Pflegeheime.
Öffentlich zugängliche Räume, die vor allem durch elektrische Energie geheizt werden, dürfen auf höchstens 20 Grad erwärmt werden. Ausnahmen gibt es etwa für Wellnessbereiche sowie Räume in Institutionen im Gesundheitswesen, in denen Patienten behandelt werden.
Wärmehalteauslagen oder Wärmeschubladen im Detailhandel dürfen nicht mit Temperaturen von über 65 Grad betrieben werden. Getränkekühler dürfen dagegen nicht auf unter 9 Grad gekühlt werden – ausser für verderbliche Getränke. Für private und gewerbliche Kühlschränke gilt mit Ausnahmen eine Tiefsttemperatur von 6 Grad. Die Kühl- und Gefriermöbel dürfen nicht unter -20 Grad gekühlt werden.
Die Beleuchtung zu Werbezwecken wird zwischen 23 und 5 Uhr verboten.
Daneben gibt es zahlreiche Verbote: Mit Ausnahmen nicht mehr erlaubt ist etwa der Betrieb von mobilen Heizgeräten, Heizpilzen, Whirlpools, Saunas, Dampfbädern, Aussen- und Anstrahlbeleuchtungen, Beleuchtungen von Parkplätzen und Parkhäusern ausserhalb der Öffnungszeiten und von leeren Räumen, elektrische Laubbläser sowie Warmwasser in öffentlichen Toilettenanlagen.
Eskalationsschritt 2
Gewerblich genutzte Wäschetrockner, Bügeleisen und Wäschemangeln dürfen täglich während 9 Stunden gebraucht werden. Für Institutionen im Gesundheitswesen gibt es keine Einschränkungen. Im privaten Bereich sind Wäschetrockner und Bügeleisen verboten.
Öffentlich zugängliche Räume, die vor allem durch elektrische Energie geheizt werden, dürfen auf maximal 19 Grad erwärmt werden. Für Gästezimmer etwa in Hotels gilt eine Temperaturobergrenze von 20 Grad. Ausnahmen gibt es weiterhin für Räume in Institutionen im Gesundheitswesen, in denen Patienten behandelt werden. In Küchen im Gastgewerbe muss die Heizung auf die niedrigste Stufe gestellt oder ausgeschaltet werden. Die Maximaltemperatur in Umschlagszentren und Lagern beträgt 18 Grad. Die Kühl- und Gefriermöbel dürfen mit Ausnahmen nicht unter -19 Grad gekühlt werden. Die Temperatur von Wärmehalteauslagen oder -schubladen im Gastgewerbe wird auf 65 Grad begrenzt.
Warmwasser, das vor allem durch elektrische Energie erzeugt wird, darf maximal auf 60 Grad erwärmt werden. Ausnahmen gibt es etwa für Spitäler, Alter- und Pflegeheime oder Lebensmittelbetriebe.
Diskotheken, Clubs und Tanz- oder ähnliche Veranstaltungen müssen die Heizung auf die niedrigste Stufe einstellen oder ganz abschalten. Eismaschinen im Gewerbebereich dürfen täglich maximal 4 Stunden betrieben werden.
Streaming-Dienste müssen die Auflösung ihrer Angebote auf Standard Definition (SD) beschränken. Serverräume und Rechenzentren dürfen nicht unter 25 Grad gekühlt werden.
Daneben gibt es zahlreiche Verbote: Mit Ausnahmen nicht mehr erlaubt ist unter anderem die Verwendung von Bildschirmen und Beamern zu Werbezwecken, Schaufensterbeleuchtung, Leuchtreklamen, Festtagsbeleuchtung, Getränkekühler im Detailhandel und Gastgewerbe oder der Betrieb von Rolltreppen.
Eskalationsschritt 3
Reduktion der Ladenöffnungszeiten um mehrere Stunden pro Tag.
Elektrisch geheizte Räume dürfen höchstens auf 18 Grad geheizt werden. Ausgenommen Institutionen im Gesundheitswesen wie Spitälern, Arztpraxen sowie Alters- und Pflegeheime, die der Behandlung von Patientinnen und Patienten dienen.
Whirlpools, Körperbräunungsgeräten, Saunas, Infrarotkabinen, Dampfbädern, Massagesesseln und weitere elektrisch betriebene Wellnessanlagen im gewerblichen Bereich dürfen pro Tag maximal sieben Stunden betrieben werden.
Privat genutzte Elektroautos dürfen nur noch in zwingend notwendigen Fällen genutzt werden – also etwa für Arztbesuche, Einkäufe oder zur Berufsausübung.
Daneben gibt es zahlreiche Verbote: Mit Ausnahmen nicht mehr erlaubt ist unter anderem der Betrieb elektrischer Heizungen von Schwimmbädern, die Beleuchtung von Sportplätzen und -anlagen, die Durchführung von Amateur-Sportveranstaltungen, die Nutzung von Waschanlagen für Autos und Nutzfahrzeuge oder der Betrieb von Discobeleuchtungen. Auch DVD-Player oder Spielkonsolen dürfen nicht mehr benutzt werden – genauso wie Streaming-Dienste zu Unterhaltungszwecken.
Kontingentierung
Betroffen von der Kontingentierung sind Grossverbraucher, die jährlich mehr als 100 Megawattstunden (MWh) Strom verbrauchen. Das betrifft 34’000 Unternehmen, die knapp die Hälfte des Stromverbrauchs in der Schweiz ausmachen.
Neben dem grossen Einsparpotenzial hat der Fokus auf die Grossverbraucher den Vorteil, dass die Massnahme verbindlich umgesetzt werden kann und deren Wirkung schnell messbar ist.
Die Kontingentierung ist auf einen Tag oder einen Monat angelegt. Bei der Monatskontingentierung können Grossverbraucher das Kontingent nach ihren Bedürfnissen auf den Monat verteilt einsetzen.
Ausnahmen bei der Strom-Kontingentierung sieht der Bundesrat nicht vor. Alle Unternehmen müssten ihren Beitrag leisten. «Auch Betreiber von Infrastrukturen für die Versorgung des Landes mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen können ihren Stromverbrauch senken.»
Das heisst: Sogar Spitäler, die Polizei oder Grossverteiler wie die Migros müssen im Ernstfall mit weniger Strom auskommen. Mit der Möglichkeit, Kontingente zu handeln, erhalten Firmen aber eine gewisse Flexibilität, weil sie anderen Firmen Strom abkaufen können. Eine einzige Ausnahme gibt es: der öffentliche Verkehr. Hier gilt ein Sparmodell, das die Branche zusammen mit dem Bund erarbeitet hat.
Die SBB betreibt ein eigenes Stromversorgungsnetz und erzeugt einen Grossteil des benötigten Stroms mit eigenen Kraftwerken. Für viele Sicherungsanlagen (Signalisation, Bahnübergänge etc.) ist die Bahn dennoch auf das öffentliche Stromnetz angewiesen. Die Kontingentierung des ÖV-Stroms soll «zentral und einheitlich» erfolgen. Das heisst: Es wird vorgängig festgelegt, wie viele Züge noch unterwegs sein sollen – und dann wird der Strom entsprechend kontingentiert.
Verboten wird zudem der Betrieb von Sportanlagen wie Beschneiungsanlagen, Kultur- und Freizeitveranstaltungen.
Netzabschaltung
Als «ultima ratio» kann der Bund Netzabschaltungen vorsehen. Davon ausgenommen werden können Betreiber lebenswichtiger Dienstleistungen wie die Energie- und Wasserversorgung, Blaulichtorganisationen oder die medizinische Grundversorgung.