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«Aus rein sexueller Motivation gehandelt»: Exhibitionist auf E-Bike verliert auch vor Obergericht

Vor einem Jahr war ein Mann vom Bezirksgericht Baden verurteilt worden, weil er sich auf seinem Elektrovelo vor einer Frau entblösst hatte. Das bestritt der Unternehmer und zog das Urteil weiter. Er habe niemanden sexuell belästigt.

Vor genau einem Jahr trafen sie sich im Bezirksgericht Baden zum zweiten Mal in ihrem Leben: Stefan und Melanie (Namen geändert). Rund neun Monate zuvor war er in einem Dorf im Bezirk Baden auf dem E-Bike im Schritttempo an der Fussgängerin vorbeigefahren. Dass er den schmalen Weg entlangfuhr, ist der einzige Punkt, in dem sich die beiden einig sind. Was da aber geschah, diese Geschichten unterscheiden sich deutlich.

Jene von Melanie klingt so: Als sie sich kreuzten, habe er mit der einen Hand den Lenker gehalten und mit der anderen an seinem entblössten Geschlechtsteil hantiert. Sie konnte sehen, dass sein Penis beschnitten war.

Der beim Vorfall 55-Jährige hingegen bestreitet, Melanie je begegnet zu sein respektive gab an, sich an niemanden zu erinnern, der ihm auf diesem Weg entgegenkam. Er habe sich vielleicht zu einem ungünstigen Zeitpunkt das «Gemächt gerichtet», aber sicher nicht vorsätzlich seinen Penis gezeigt.

Dennoch sah das Bezirksgericht das Geschehen wie von Melanie geschildert als erstellt an und verurteilte ihn zu einer Geldstrafe von 24 Tagessätzen à 160 Franken, bedingt mit einer Probezeit von zwei Jahren, und einer Busse von 960 Franken. Schon da lag aber in der Luft, dass er das Urteil anfechten würde. Der Zürcher Unternehmer legte beim Obergericht Berufung ein.

Krankhaftes Verhalten bei Klägerin zu suchen

Vor kurzem hat das Gremium das schriftliche Urteil veröffentlicht: Es bestätigt das Urteil der Vorinstanz. Das Obergericht zweifelt nicht daran, dass sich der Vorfall wie angeklagt zugespielt hat. Die mehrfachen Aussagen von Melanie vor der Staatsanwaltschaft, der Vorinstanz und dem Obergericht seien «präzis, detailreich, stimmig und konstant».

Genau das hatten Stefan und sein Anwalt aber an der Verhandlung in Baden vor einem Jahr beanstandet. Der Verteidiger monierte in seinem Plädoyer, dass bei Melanies Befragung vor dem Bezirksgericht aufgefallen sei, dass ihre Äusserungen denjenigen der ersten Einvernahme eins zu eins entsprechen und auswendig gelernt wirken. Ein krankhaftes Verhalten sei nicht bei seinem Mandanten zu suchen, sondern bei der Klägerin.

Das liess Melanie, die sich aktiv politisch engagiert, im Gerichtssaal zu einem emotionalen Vortrag ansetzen. Und auch daran zweifeln, ob sie mit ihrer Anzeige wirklich das Richtige getan hatte. «So kann man nie vergessen», sagte sie.

Und dennoch musste sie am 9. Dezember 2022 noch einmal vor Gericht antraben, zum Berufungsverfahren. Stefan forderte einen Freispruch. Seine Aussagen seien nicht weniger glaubhaft als ihre, heisst es in seiner Begründung. Es sei nicht erstellt, dass die Geschlechtsorgane sichtbar gewesen seien. Und sollten sie unbeabsichtigt deutlich erkennbar gewesen sein, bedeute dies noch keine «bewusste Zurschaustellung seines Glieds und seiner Hoden». Er habe niemanden sexuell belästigt und sei kein Exhibitionist.

Melanie hatte ausgesagt, dass sein linkes Bein «oben» und das rechte Bein gestreckt gewesen sei. Der Gummizug des Hosenbunds sei offensichtlich unter die Hoden und den Penis gestülpt gewesen. Stefan habe keine klassische Masturbationsbewegung, aber wedelnde Bewegungen gemacht. Sein Penis sei auch nicht erigiert gewesen.

Obergericht von Stefans Schuld überzeugt

Gerade weil ihn Melanie nicht übermässig belastet, glaubt ihr das Obergericht. Das spreche gegen eine Falschbeschuldigung. «In diesem Zusammenhang wären weitaus schwerwiegendere Schilderungen denkbar gewesen», schreibt das Gericht. Zudem hätten sich die beiden nicht gekannt, weshalb kein Grund bestehe, den Beschuldigten fälschlicherweise zu belasten:

«Zumal die Strafklägerin durch das Strafverfahren selbst eine nicht unerhebliche Belastung auf sich nimmt.»

Unbestritten sei, dass er zum erstellten Zeitpunkt mit dem E-Bike auf genau diesem Weg unterwegs war. Und Stefan schliesse selber auch nicht komplett aus, dass er im Bereich des Geschlechtsteils manipuliert habe. Das Obergericht bezeichnet das «Richten des Gemächts» und das nicht absichtliche Zurschaustellen des Geschlechtsteils als Schutzbehauptung. Es ist von Stefans Schuld überzeugt: Der Tathergang lasse keinen anderen Schluss zu, als dass er aus rein sexueller Motivation gehandelt habe.

Dem Beschuldigten zugute komme aber, dass die Tat nur «einen sehr kurzen Moment» dauerte. Das Obergericht geht von einem leichten Verschulden aus und hält die von der Vorinstanz gesprochene Strafe für angemessen.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, er kann es ans Bundesgericht weiterziehen.