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Die «Sport Schweiz AG» – eine schier unfassbare Erfolgsgeschichte

Olympia-General Ralph Stöckli hat offiziell eine Zwischenbilanz gezogen. Er gab sich diplomatisch-bescheiden. Dabei hätte er eigentlich allen Grund zum Prahlen. Trotz der Gefahr, dass in ein Wespennest gestochen wird.

Alle vier Jahre ist Examen für den Schweizer Sport. Im Rahmen der Olympischen Spiele. Der ultimative internationale Vergleich ist unerbittlich.

Bei «Halbzeit» hat Ralph Stöckli im «Maison Suisse» im Garten der Schweizer Botschaft offiziell Zwischenbilanz gezogen. So gehört es sich bei uns. Der Chef hat Rechenschaft abzulegen. Auskunft darüber zu geben, was getan oder unterlassen worden ist. Bei «Halbzeit» der Spiele. Am Schluss der Spiele. Ralph Stöckli ist zufrieden und an seiner Zufriedenheit wird sich bis zur Schlussfeier wenig ändern. Vor den Spielen hat er mit sieben Medaillen gerechnet. Jetzt sind es schon sechs und fünf weitere sind mit 4. Plätzen knapp verpasst worden. Und bereits 21 Schweizerinnen und Schweizer sind mit dem Olympischen Diplom beehrt worden.

Er sagt, er sei sich bewusst, dass Gold, Silber und Bronze die Olympische Währung sei. Aber die 21 Diplome sind ihm wichtig. «Bei den letzten Spielen in Tokyo haben wir insgesamt 23 geholt. Jetzt sind wir schon bei 21.» Ein Diplom gibt es bis und mit Rang 8.

Stefan Küng holte gleich zwei Diplome in Paris.
Bild: Anthony Anex / KEYSTONE

Eine griffige Formulierung sagt, dass nur bei Olympischen Spielen Verlierer diplomiert werden. Ralph Stöckli sieht in den Diplomen eine Auszeichnung und Anerkennung für grosse Leistungen auf internationalem Niveau. Nach dem Grundsatz: Es muss nicht immer Gold sein, was glänzt.

Wo er recht hat, da hat er recht. Der Schweizer Sport schreibt auch in Paris eine schier unfassbare Erfolgsgeschichte. Auch und gerade in der harten Medaillen-Währung.

Schweiz behauptet seit 100 Jahren ihre Position

Hier in Paris haben US-Reporter vor 100 Jahren bei den Spielen von 1924 den Medaillenspiegel «erfunden» und populär gemacht. Um auch im Sport die heraufziehende Weltmachtstellung ihres Heimatlandes zu dokumentieren. Die Amerikaner räumten am meisten Medaillen ab: 45mal Gold, 27mal Silber und 27mal Bronze. Für die Schweiz gab es 7 Gold-, 8 Silber- und 10 Bronze-Medaillen. Bis heute Rekord. Lediglich 3076 Männer und 139 Frauen aus 44 Nationen waren nach Paris gereist. Deutschland war aus politischen Gründen ausgeschlossen, die Sowjetunion im Todesjahr von Lenin nicht dabei und in China gab es noch keinen Spitzensport.

Hundert Jahre später streben mehr als 10 000 Athletinnen und Athleten aus 206 Ländern nach Olympischer Ehre. Noch nie war die internationale Sportkonkurrenz so gross. Die Schweiz hat ihre Position behauptet.

Ein Blick nach unten zeigt das helvetische Sportwunder: Die Schweiz steht im Medaillenspiegel auf Position 24. Vor Ländern wie Tschechien, Norwegen, Südafrika, Polen, Dänemark, Indien oder Österreich. 142 Nationen haben in Paris noch gar keine Medaille geholt.

Funktionierende «Sport Schweiz AG»

Ralph Stöckli hätte guten Grund zum Prahlen. Aber er hat noch bessere Gründe, es nicht zu tun. Im Sport ist es ein wenig wie in der Landwirtschaft: Um sich die politische Unterstützung zu sichern, ist es besser, bescheiden zu sein. Noch besser ist Jammern. Aber Jammern verträgt sich nicht mit Olympischem Sport, der dazu da ist, positive Emotionen zu wecken und das Land mit Freude zu versorgen. Tatsächlich spielt die Politik im Sport eine wichtige Rolle. Der Sport zeigt uns als «Sport Schweiz AG» ein ganz besonderes Erfolgsmodell.

Swiss Olympic ist die zentrale Organisation, in der alle Sportverbände zusammengeschlossen sind. Swiss Olympic «subventioniert» die einzelnen Sportverbände durch Gelder, die von der Politik abhängig sind und orchestriert verschiedene Dienstleistungen, die über die Armee laufen. Die «Sportler-RS» – also die Möglichkeit, die Dienstpflicht unter besten Voraussetzungen für Spitzensportler in der staatseigenen Sportschule in Magglingen zu absolvieren – ist ein wichtiger Teil der helvetischen Sportförderung. Der Sport ist politisch dem Eidgenössischen Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS), dem früheren Militärdepartement unterstellt.

Olympiasiegerin Chiara Leone (Mitte) besuchte ebenfalls die «Sportler-RS» in Magglingen.
Bild: Manuel Geisser / MANUEL GEISSER

Einfacher gesagt: Der Sport hat mit Swiss Olympic einen schlanken Staat. Die einzelnen Sportverbände geniessen weitgehende Autonomie und fördern ihre Athletinnen und Athleten nach Bedarf intensiver oder lassen ihnen mehr Freiheiten. Diese für unser Land typische föderalistische Struktur gibt unserem Sport eine viel grössere Dynamik als ein zentralistischer Sportstaat und erleichtert auch die Zusammenarbeit mit privaten Investoren (Sponsoren). Diese weltweit in dieser Form einmalige Kombination aus Staat, Sportverbänden, privaten Investoren können wir als «Sport Schweiz AG», als eine grosse, erfolgreiche Firma bezeichnen.

Insektennest das grösste Problem

Ralph Stöckli darf zufrieden sein. Die Schweiz behauptet auch in Paris ihre Spitzenposition auf der Sportweltkarte. Seit 2016 (Rio) ist er Chef der Schweizer Delegation bei Olympischen Spielen und bis auf ein Detail hat er auch in Paris alles im Griff und unter Kontrolle. Es ist ein Detail, von dem er, mit etwas Glück, bis zum Schluss der Spiele nicht erfahren wird.

Gesellschaftliches Zentrum des Schweizer Sportes ist in Paris bekanntlich das «Maison Suisse» im wunderschönen Garten der Schweizer Botschaft. Dort hat das Personal inzwischen ein grosses Nest mit stechfreudigen Fluginsekten entdeckt. Noch sind die Biester zurückhaltend und haben all die Leckereien im «Maison Suisse» nicht entdeckt. Aber das könnte sich ändern. Die heimliche Sorge wächst. Vernichten oder ausräuchern des Nestes ist nicht erlaubt.

Für die Chronistinnen und Chronisten wäre es eigentlich eine einmalige Gelegenheit, endlich einmal – wie man in der Medienindustrie so schön sagt – in ein Wespennest zu stechen.

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