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Medizinischer Experte bei Moderna: «Das Ende der Pandemie ist noch nicht da»

Als zweites Land weltweit hat die Schweiz gestern eine an Omikron angepasste Impfung zugelassen. Doch wie gut ist sie? Cesar Sanz Rodriguez, Vizepräsident medizinische Angelegenheiten bei Moderna für Europa, ist überzeugt, dass es die angepasste Impfung brauchen wird.

Soll man sich mit dem neuen Impfstoff boostern lassen, selbst wenn man schon Corona hatte? Cesar Sanz Rodriguez ist Vizepräsident medizinische Angelegenheiten bei Moderna für Europa, den Mittleren Osten und Afrika und hat gesehen, dass es beim Impfstoff auf eine möglichst breite Immunantwort ankommt – nicht auf die Jagd nach der aktuellen Variante.

Man geht davon aus, dass sich die Mehrheit der Bevölkerung schon mit Omikron infiziert hat. Soll man sich trotzdem boostern lassen mit dem neuen Impfstoff?

Cesar Sanz Rodriguez: Viele fragen uns das. Es stimmt zwar, dass eine Infektion mit Omikron gegen weitere Omikron-Infektionen zuerst recht gut schützt, aber der Schutz sinkt rasch wieder. Das zeigt zum Beispiel eine neue Studie aus Portugal, wo sich BA.4 und 5 früh ausbreiteten. Zudem ist inzwischen bewiesen, dass eine hybride Immunität am besten schützt – dass also Infizierte profitieren, wenn sie sich noch impfen lassen.


Viele sind aber bereits geimpft und haben die hybride Immunität schon.

Ja, aber die Immunität kommt zweifach, einerseits als Antikörper, andererseits mit den langlebigen T-Gedächtniszellen. Die Antikörper sinken mit der Zeit, und für Risikopersonen, welche eine schlechtere T-Zellen-Antwort aufbauen, sind regelmässige Booster deshalb wichtig.

Das bringt uns zum Schutz vor einer Ansteckung. Bei Omikron war dieser bisher schlecht. Wie sieht die Datenlage beim neuen bivalenten Booster aus, der aus der alten Impfung und einer auf Omikron ausgerichteten besteht?

Covid-19-Impfungen wurden nicht entwickelt, um eine Ansteckung zu verhindern, sondern symptomatisches Covid-19 und komplizierte Krankheiten. Zum Glück schützten die bisherigen mRNA-Impfungen ziemlich gut vor Krankenhausaufenthalten bei früheren Varianten von Omikron, wie BA.1. Das Auftreten von BA.4 und BA.5, die weniger gut auf die ursprünglichen mRNA-Impfstoffe ansprechen, machte aktualisierte Impfstoffe erforderlich. Die beim bivalenten Booster beobachteten Immunantworten stimmen uns zuversichtlich. Daten zum Schutz vor Ansteckung haben wir noch keine.

Ein besserer Schutz vor einer Ansteckung wäre wichtig, um noch mehr Long-Covid-Fälle zu verhindern.

Long Covid ist nach wie vor ein grosses Problem. Einige Wissenschafter stellten die Hypothese auf, dass eine Impfung dazu beitragen könnte, das Auftreten oder den Schweregrad von Long Covid zu verringern. Dies muss noch bewiesen werden, da Long Covid auch schwer zu definieren ist, was klinische Studien sehr schwierig macht.

In der Schweiz wird der Omi­kron-Booster voraussichtlich Anfang September erhältlich sein, wie Moderna-Sprecher Luke Mircea-Willats sagt. Der Stoff mit den Namen «Spikevax Bivalent Original/Omicron» wird an verschiedenen Produktionsstandorten hergestellt, unter anderem auch in Visp im Wallis. (kus)

Ich könnte mir vorstellen, dass in Europa, wo es inzwischen eine verbreitete Grundimmunität gibt, der Fokus eher auf dem Schutz vor Long Covid liegt.

Ich denke nicht, dass das Ende der Pandemie da ist. Wir dachten schon letzten Sommer, dass wir aus dem Schlimmsten raus sind, dann kam Omikron. Aktuell zum Beispiel beobachten wir die Variante BA.2.75 aus Indien genau.

Der bivalente Booster von Moderna wie auch jener von Pfizer ist auf die erste ­Omi­kron-Variante BA.1 ausgerichtet. Wie gut schützt er gegen BA.5? Pfizer sagte, ihrer schütze «in geringerem Masse».

Bei Modernas bivalentem Booster sind die Antikörperspiegel gegen BA.1 etwa fünfmal höher als nach der dritten Impfung mit dem ursprünglichen mRNA-1273-Impfstoff. Es stimmt zwar, dass die Antikörperlevel gegen BA.4/5 tiefer ausfallen, sie sind aber immer noch sehr vergleichbar mit den Antikörperantworten, welche sich als schützend gegen frühere Varianten erwiesen haben. Wir sind deshalb zuversichtlich, dass diese Impfung gegen BA.4 und 5 gut schützt.

Moderna hatte zuerst einen Impfstoff entwickelt, der nur auf das Spike-Protein von Omikron ausgerichtet war. Erst bei der Kombination von Wuhan-Spike und Omikron zeigte sich ein besserer Impfeffekt. Warum?

Unsere Erfahrung mit verschiedenen bivalenten Impfstoffkandidaten, die gegen verschiedene bedenkliche Varianten entwickelt wurden, hat gezeigt, dass diese besser abschneiden als monovalente Impfstoffe. Es geht weniger darum, eine bestimmte Variante zu jagen, sondern darum, einen breiten Schutz zu erlangen, denn die Varianten wechseln schnell. Mit der Kombination von Spike-Proteinen zweier Varianten ist uns das gelungen.

Der neue, bivalente Impfstoff wurde nur an 800 Personen getestet und deren Antikörperniveau gemessen – es wurde nicht geschaut, ob sie sich danach noch ansteckten und wie stark sie erkrankten. Warum nicht?

Am Anfang der Pandemie haben wir sehr grosse klinische Studien durchgeführt, um die Sicherheit und Wirksamkeit unseres mRNA-Impfstoffs zu bewerten. Sobald die Wirksamkeit nachgewiesen wurde, ist es angebracht, nachfolgende Impfstoffe mit dem ersten zu vergleichen und aufgrund der Immunreaktion, die in einer kleineren Studie gemessen wurde, auf die Wirksamkeit zu schliessen. Dieser Ansatz wird als Immunobridging bezeichnet und beeinträchtigt die Strenge der klinischen Wissenschaft nicht.

Werden Studien, bei denen man schaut, wer nach der 4. Impfung erkrankte und wer nicht, noch gemacht von Moderna?

Die Gesundheitsbehörden und -agenturen rund um den Globus verfolgen und überprüfen die Wirksamkeit der COVID-19 Impfungen zum Glück sehr gut. Die Schweiz ist dabei vorbildlich, das BAG veröffentlich auf der Website regelmässig Daten dazu. Wir lancieren zwar auch eigene solcher Studien und verfolgen die Probanden, die an klinischen Studien teilnehmen, aber die meisten Daten dazu kommen aus unabhängiger Quelle.

Fast jeder hat inzwischen Antikörper gegen Corona im Blut, sei es von einer Infektion oder Impfung. Da ist es schwierig, die Wirksamkeit neuer Impfstoffe zu prüfen, oder?

Ein sehr hoher Prozentsatz der Schweizer Bevölkerung, wahrscheinlich über 60 oder 70 %, hat sich bereits infiziert mit SARS-CoV-2. In unserer Studie für den bivalenten Booster waren etwa 25 Prozent der Teilnehmer bereits einmal mit Sars-CoV-2 infiziert gewesen. So konnten wir den Unterschied bei infektions-naiven und bereits infizierten Personen evaluieren. Diejenigen, die zuvor mit Sars-CoV-2 infiziert waren, wiesen höhere Antikörperspiegel auf, was wahrscheinlich den Wert der hybriden Immunität widerspiegelt.

Bei der ersten Coronaimpfung und auch jetzt wieder haben Moderna und Pfizer/Biontech fast zeitgleich die Anträge eingereicht. War das abgesprochen oder Zufall?

Weder noch. Was Sie hier sehen, ist der mRNA-Technologie zu verdanken. Wir brauchten nur etwas mehr als einen Monat von Ende November letzten Jahres bis Anfang Januar um eine Omikronimpfung zu entwickeln, die dann in klinischen Versuchen getestet werden konnte.

Warum hat der Moderna-Chefarzt Paul Burton im Mai bereits die vierte Impfung mit dem alten Impfstoff empfohlen, als schon klar war, dass bald der an Omikron angepasste Booster kommt? Wird so das Immunsystem nicht unnötigerweise noch einmal auf die früheren Virus-Varianten ausgerichtet?

Mein Kollege Paul Burton wiederholte damals die Empfehlung, die in vielen Ländern galt bezüglich gefährdeter Bevölkerungsgruppen. Denn auch die ursprüngliche mRNA-Impfung war immer noch wirksam, was den Schutz vor schwerer Krankheit betraf. Und mehrere Länder passten ihre Empfehlungen an, zum Beispiel durch eine Senkung der Altersgrenze bezüglich dessen, wer sich zum vierten Mal impfen lassen sollte. In Anbetracht der Priorität, die gefährdeten Bevölkerungsgruppen zu schützen, war dies die richtige Massnahme– auch wenn man wusste, dass angepasste Impfstoffe noch kommen werden.

Letzte Woche wurde bekannt, dass Moderna in den USA eine Klage gegen Pfizer/Biontech eingereicht hat. Letztere Firma soll die grundlegenden mRNA-Technologien abgekupfert haben. Zu diesen Technologien hatte Moderna schon 2010 und 2016 Patente angemeldet. Moderna-Chef Stephane Bancel liess verlauten: «Wir reichen diese Klagen ein, um die innovative mRNA-Technologieplattform zu schützen, in deren Entwicklung wir Pionierarbeit geleistet, Milliarden von Dollar investiert haben.» Moderna hatte zwar vor zwei Jahren mitgeteilt, man wolle die Patentrechte nicht durchsetzen, damit auch Länder mit niedrigem Einkommen profitieren könnten. Biontech/Pfizer habe aber nie eine Lizenz beantragt. (kus)