Opfer erblindet nach Faustschlägen – «Das ist keine schwere Körperverletzung», findet der Beschuldigte
Die Liste seiner Vergehen ist lang. Im Oktober 2018 verurteilte das Bezirksgericht Zofingen einen Delinquenten unter anderem wegen gewerbsmässigen Wuchers, mehrfacher, zum Teil versuchter Nötigung, schwerer Körperverletzung und Raubes. Es bestrafte ihn mit einer fünfjährigen Freiheitsstrafe, einer Geldstrafe von 9900 Franken und einer Busse von 1000 Franken.
Gegen das Urteil legte der Beschuldigte Berufung ein. Das Aargauer Obergericht sprach ihn in der Folge vom Vorwurf des gewerbsmässigen Wuchers, der Nötigung sowie der Veruntreuung in gewissen der angeklagten Fälle frei. An den restlichen Anklagepunkten hielt es jedoch fest und milderte das Urteil nur insofern, als es die Geldstrafe bedingt, bei einer Probezeit von vier Jahren, aussprach.
Schwere Körperverletzung (Art. 122 StGB)
Wer vorsätzlich einen Menschen lebensgefährlich verletzt, wer vorsätzlich den Körper, ein wichtiges Organ oder Glied eines Menschen verstümmelt oder ein wichtiges Organ oder Glied unbrauchbar macht, einen Menschen bleibend arbeitsunfähig, gebrechlich oder geisteskrank macht, das Gesicht eines Menschen arg und bleibend entstellt, wer vorsätzlich eine andere schwere Schädigung des Körpers oder der körperlichen oder geistigen Gesundheit eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.
Freispruch in zwei weiteren Anklagepunkten gefordert
Doch das war dem Angeklagten nicht genug. Er verlangte nun mit einer Beschwerde vor Bundesgericht, dass er ebenfalls von den Vorhalten der schweren Körperverletzung sowie des Raubes freizusprechen sei. Die Strafsache sei zur Neubeurteilung der Strafzumessung an das Obergericht zurückzuweisen.
Hintergrund: Im Dezember 2011 verprügelte der Beschuldigte einen Bekannten. Mehrfach schlug er mit seiner Faust gegen dessen Kopf. Es resultierten nebst einer Gehirnerschütterung unter anderem Brüche des Nasenbeins und der Kieferhöhlenwand. Zudem wurde der Sehnerv durch die Schläge dermassen in Mitleidenschaft gezogen, dass das Opfer auf einem Auge zu 90 Prozent erblindete.
Die Tat an sich gab der Beschuldigte zu. Eine schwere Körperverletzung sei das nicht gewesen, so der Beschuldigte. Denn die bedürfe das «Wissen und den Willen», also den Vorsatz, jemanden lebensgefährlich zu verletzen. Als er sein Opfer mit seinen Fäusten malträtierte, habe er mitnichten in Kauf genommen, dass dieses erblinde, so der Beschuldigte.
Risiko einer schweren Verletzung wurde doch in Kauf genommen
Anders sieht das das Bundesgericht, wie es nun in seinem Urteil festhält: «Dem Beschwerdeführer musste sich bei seiner Vorgehensweise das Risiko einer schweren Körperverletzung als derart wahrscheinlich aufdrängen, dass sein Verhalten vernünftigerweise nur als Inkaufnahme einer schweren Körperverletzung gewertet werden kann.» Der Schluss des Obergerichts sei entsprechend nicht zu beanstanden.
Ähnlich verhält es sich beim zweiten strittigen Anklagepunkt. Der Beschuldigte – offenbar als dubioser Schuldeneintreiber tätig – soll einem weiteren Opfer 10’000 Franken gestohlen haben. «Sonst wird etwas passieren», soll er gesagt haben und das Opfer so genötigt haben, ihm das Geld zu überreichen. Ein Raub sei das jedoch nicht gewesen, so der Beschuldigte. Das Obergericht habe nicht beschrieben, um welche konkrete Gefahr für Leib und Leben es sich für das Opfer hätte handeln sollen. «Es sei wenigstens zu benennen gewesen, ob damit eine Ohrfeige oder ein Faustschlag gemeint gewesen sei», so der Beschuldigte.
Raub (Art. 140 Ziff. 1 StGB)
Wer mit Gewalt gegen eine Person oder unter Androhung gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder nachdem er den Betroffenen zum Widerstand unfähig gemacht hat, einen Diebstahl begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.
Physische Überlegenheit reicht für Drohung aus
Doch auch hier sieht das Bundesgericht den Beschuldigten im Unrecht. Aufgrund seiner stattlichen Grösse und besonders kräftigen Statur und der Tatsache, dass sein Opfer seinerseits an Krücken ging, habe die Aussage des Beschuldigten zurecht als Androhung gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben aufgefasst werden können. Der Tatbestand des Raubes sei entsprechend erfüllt.
Und zu guter Letzt beanstandete der Beschuldigte die Dauer seines Verfahrens. Er sei am 20. August 2013 verhaftet worden, Anklage sei aber erst am 7. November 2016 erhoben worden. Das Urteil erhielt er gar erst fünf Jahre nach seiner Verhaftung. Eine sechsmonatige Reduktion der Freiheitsstrafe gewährte ihm wegen dieser sogenannten Verletzung des Beschleunigungsgebots das Bezirksgericht Zofingen, das Obergericht bestätigte sie.
Da aber auch das Obergericht elf Monate gebraucht hatte, um seine schriftliche Urteilsbegründung auszufertigen, sah der Beschuldigte eine zusätzliche Verletzung. Er forderte eine Reduktion der Freiheitsstrafe um mindestens 25 Prozent. Doch auch damit fand er in Lausanne kein Gehör. Das höchste Schweizer Gericht kommt zum Schluss: «Eine Strafreduktion von insgesamt sechs Monaten erscheint als noch angemessen und nachvollziehbar.» Und weist damit alle drei Beschwerdepunkte ab.
Die Gerichtskosten von 3000 Franken hat der Beschuldigte zu bezahlen.
Das Urteil in voller Länge gibt es hier.