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Der «Onkel» kann auch den Bagger bedienen: Wie die Mafia Schweizer Arbeitsvermittler unterwandert

Über Helfer bei Arbeitsvermittlungen und Schein-Anstellungen etwa im Baugewerbe kommt die kalabrische 'Ndrangheta leicht zu Aufenthaltsbewilligungen.

Seine «Cousins» seien auf Arbeitssuche, sagte der Junior-Boss des Mafia-Clans der Larosa aus Kalabrien dem Arbeitsvermittler im Kanton Zürich. Er habe auch «einen Onkel», der im Besitz des Lastwagenführerscheins sei und den Bagger bedienen könne. Auch der suche einen Job.

Der Arbeitsvermittler, er ist Agenturleiter einer Personalvermittlung im Raum Zürich und St. Gallen, konnte dem Mafioso gute Hoffnung machen. Eine grosse Schweizer Bauunternehmung, die er namentlich nannte, werde demnächst «drei oder vier grosse Baustellen eröffnen». Es war für den Vermittler, einen Italiener, also möglich, dort einige Mafiosi zu platzieren.

Das war Mitte 2020, wie aus italienischen Untersuchungsakten zur Anti-Mafia-Operation «Nuova Narcos Europea» hervorgeht, an der auch Schweizer Behörden mitarbeiteten.

«Florierender Drogenhandel» in der Schweiz

Der Mafia-Clan der Larosa aus Giffone in Kalabrien betrieb damals von Zürich, Aargau, St. Gallen und Graubünden aus einen «florierenden Drogenhandel» (O-Ton italienische Akten) in der Schweiz. Um in Ruhe ihren kriminellen Schweizer Geschäften nachgehen zu können, brauchen die Mafiosi Arbeitsverträge, dank denen sie als EU-Bürger zu Aufenthaltsbewilligungen kommen.

Larosa junior, Sohn des auf Sardinien inhaftierten Clanchefs Giuseppe Larosa, organisierte für seinen Clan über Mittelsleute solche Schweizer Arbeitsverträge. Den besagten Zürcher Personalvermittler, einen Italiener, hatte er über einen «lieben Freund» kontaktiert, einen anderen Landsmann, der im Drogengeschäft tätig war.

Die Personalvermittlungsfirma, die ihre Dienste der kalabrischen ‘Ndrangheta zur Verfügung stellte, verfügt über Agenturen in mehreren Kantonen. Sie ist kein Einzelfall, die Mafia ist gut vernetzt, sie kann auf Leute in verschiedensten Firmen und Positionen zählen. Der Larosa-Clan ist nur eine von vielen in der Schweiz aktiven Mafia-Familien, aber allein bei ihm zeigen sich mehrere Verbindungen zu Personalvermittlern hierzulande.

Mafioso als Fahrer bei Arbeitsvermittler in Lugano

Schnelle Jobs verspricht eine andere Personalvermittlung, welche Standorte in mehreren Kantonen hat. Einer ihrer Mitarbeiter gehört laut den Untersuchungsakten zu den Kokain-Brokern des Larosa-Clans. Er bezog beim Clan-Boss und dessen Leuten wiederholt grössere Mengen an Kokain, wie aus abgehörten Telefonaten hervorgeht. Arbeitsverträge gegen Kokain und umgekehrt? Hier sind jedenfalls Seilschaften am Werk, und eine Hand wäscht die andere.

Bei einer anderen grosse Personalagentur, mit fast 20 Filialen in der ganzen Schweiz aktiv, arbeitete ein weiteres Mitglied des kalabrischen Clans der Larosa. Der Italiener, im Drogen- und Waffenhandel tätig, war in der Filiale Lugano des Dienstleisters angestellt, als «Fahrer», wie es heisst. Er verfügte über einen Ausweis L (Kurzaufenthaltsbewilligung). Für den Clan soll er, so die Vermutung der Ermittler, mit speziell präparierten Fahrzeugen Drogen in die Schweiz und Waffen nach Italien transportiert haben.

Er muss ein wichtiger Mann sein, denn seine Hochzeit im August 2020 in Kalabrien war laut den Ermittlern gleichzeitig auch eine Zusammenkunft des Clans, an der Geschäfte und Probleme diskutiert und Beziehungen vertieft wurden. Der Mann gehört heute zu jenen 104 Verdächtigen, die am November 2021 im Rahmen der Operation «Nuova Narcos Europea» verhaftet wurden. Sechs von ihnen in der Schweiz, sie sollen an Italien ausgeliefert werden oder wurden bereits ausgeliefert.

Schein-Anstellungen über Schein-Firmen

Schein-Anstellungen werden von den Mafiosi nicht nur über Personalvermittler bewerkstelligt, sondern häufig auch über Schein-Firmen. In der Regel über eine GmbH, die von den Mafiosi oder von Strohleuten gegründet werden. Das seien «Schein-Selbstständige», wie sich ein Schweizer Unternehmer im Gespräch ausdrückt, domiziliert mitunter bei zwielichtigen Treuhändern, die Erfahrung mit dieser Art Geschäft haben.

Eine solche Schweizer GmbH gründete auch der Sohn des Larosa-Clanchefs, zusammen mit einem engen Vertrauten. Beide waren professionelle Drogenhändler und Kriminelle, aber beide verfügten über Arbeitsverträge und Aufenthaltsbewilligungen in der Schweiz. Über ihre GmbH, die angeblich Bodenplatten verlegte, lief auch ein Geschäftsauto der Marke Fiat, in das ein doppelter Boden zum Schmuggel von Drogen, Waffen und Geld eingebaut worden war.

Auch der fiktive Firmenzweck, das Verlegen von Bodenplatten, war hilfreich im Drogengeschäft und offensichtlich mit Bedacht gewählt: Am Telefon sprachen die Gangster von «piastrelle» (Fliesen). 100 Quadratmeter Fliesen entsprachen laut den Ermittlern 100 Gramm Kokain. «65 oder 70 Franken pro Quadratmeter » bedeutete «65 oder 70 Franken pro Gramm».

Mafiosi im Knast, Schein-Firma gerichtlich liquidiert

Diese Schein-Firmen, Vehikel zum Delinquieren, eingetragen im Handelsregister, gehen in der Regel nach ein oder zwei Jahren in Konkurs, ohne Aktiven und Gläubiger, aber mit Kostenfolge für den jeweiligen Kanton. So wurde auch die Plättli-Firma des Juniorbosses der Larosa im März 2022 per Gerichtsbeschluss liquidiert. Wegen Organisationsmangels, weil die Firma kein Rechtsdomizil mehr hatte und die Post an den Juniorboss und seinen Adlaten nicht mehr ankam.

Der Juniorboss hatte sich laut Gerichtsakten im Oktober 2020 in Zürich nach Kalabrien abgemeldet oder besser abmelden lassen. Er war Mitte 2020 von der italienischen Polizei verhaftet worden, als er sich mit dem präparierten Geschäftsauto seiner Bodenplatten-Scheinfirma und gut einem Kilo Kokain auf dem Weg in die Schweiz befand. Sein Kumpane in der Schein-GmbH ist noch in der Gemeinde Vilters-Wangs SG gemeldet, aber die Post kommt auch bei ihm nicht mehr an, er wurde im November 2021 im Zug der grossen Operation gegen die Mafia ebenfalls verhaftet.

Auf den Liquidationskosten von 1000 Franken, die das Gericht der als Plättlifirma getarnten Kokain-GmbH überband, wird jetzt zweifellos der Kanton Luzern sitzenbleiben.

Es gilt die Unschuldsvermutung.

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