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Ihr Kistlein kommet! Warum auch verpackte Luft teuer sein kann

Umzugskartons, Pizzaschachteln, Amazon-Pakete – Kartons füllen unseren Alltag. Und nie werden mehr verschickt als vor Weihnachten. Über einen ambivalenten Stoff, der das digitale Geschäft antreibt.

Im Jahr 1879 kam es in einem Werk des amerikanischen Papierherstellers Robert Gair Company in Brooklyn zu einem Fabrikationsfehler: Ein Metallstreifen der Druckerplatte war etwas zu hoch eingestellt, sodass die Maschine Tausende Papierbeutel mit Pflanzensamen nicht faltete, sondern zerschnitt – und damit unbrauchbar machte. Ein Maschinist meldete den Vorfall dem Werkleiter, dann inspizierte Robert Gair persönlich die ruinierten Papierbögen – und entdeckte dabei zufällig das Schnittmuster für eine Faltbox statt einen Beutel. Es war die Geburtsstunde des Kartons. Viele Erfindungen sind dem Zufall zu verdanken, und so entwickelte Gair ein Stanzverfahren, mit dem sich Faltschachtelzuschnitte in Serie herstellen liessen. Der Papierfabrikant zögerte nicht lange, seine Erfindung zu patentieren.

Die Papiertüten, worin man Lebensmittel wie Reis und Zucker bis dahin verpackte, boten keinen Schutz und auch keine Stabilität. Papierfabrikant Gair witterte seine Chance – und stellte die Produktion um. Der Lebensmittelkonzern Quaker Oats war das erste Unternehmen, das die neue Technik anwandte und 1884 die Frühstückscerealien in Karton verpackte. Wenig später folgte der Cornflakes-Konzern Kellogg’s. Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts ersetzten die Papierverpackungen sukzessive die alten Holzkisten. Der Karton schuf die Grundlage für die industrielle Massenproduktion.

Pappe ist der Stoff des Massenkonsums – aber nicht nur, weil es Produkten eine transportfähige Form verleiht, sondern auch, weil es eine Werbefläche schafft, die wiederum ihren eigenen Konsum befördert. Der dreieckige Verpackungsschutz der Toblerone gehört zur Marke.

Pappmöbel, Umzugskartons, Schuhkartons, Pizzaschachteln, Nudelboxen, Amazon-Pakete – der Alltag ist voller Kartons. Pro Sekunde werden auf der Welt rund 5000 Pakete verschickt – von Blumensträussen über Unterhaltungselektronik bis hin zu Feinkost. Allein DHL beförderte im Jahr 2023 1,7 Milliarden Pakete. Das Paketvolumen ist durch den Online-Handel vor allem in der Coronapandemie massiv angestiegen. Keine Pappe, kein E-Commerce.

Das papierlose Büro wurde zum Kartonturm

In den 1970ern, als in den USA die ersten Hochschulrechner ans Arpanet, den Vorgänger des Internets, angeschlossen wurden, träumten die Tech-Vordenker vom «papierlosen Büro». Doch das Versprechen für vollständige Dematerialisierung war schon immer ein postmodernes Luftschloss. Schuhe kann man nicht via Glasfaserkabel verschicken. Wenn man auf den Bestellknopf eines Online-Shops klickt, kommt am Ende ein Paket.

Jetzt werden gerade wieder besonders viele Pakete verschickt – wie immer vor Weihnachten. Doch egal ob ein Geschenk oder nicht – jedes Päckchen ist eine Blackbox, eine Überraschung. Verpackung ist alles.

Aber sie ist auch meistens ein Wegwerfprodukt. Mülltonnen quellen vor Papiermüll über, in Postfilialen stapeln sich Retouren. Im Jahr 2021 wurden in der EU pro Kopf 189 Kilogramm Verpackungsmüll (Kunststoff, Papier, Glas) produziert – eine ökologische Katastrophe.

So sah es am 5. Januar an einem Strassenrand in Zürich aus.
Bild: Gaetan Bally / Keystone

Die Umweltorganisation Greenpeace hat in einem Bericht («Killed by Cardboard») aufgezeigt, wie in Schweden hektarweise Wälder gerodet werden, um den Rohstoff für den Online-Handel zu produzieren: Wellpappe. Das Holz, das in den Papiermühlen grosser Forstunternehmen zu Zellulose verarbeitet wird, landet über Verpackungshersteller bei Konzernen wie Amazon, McDonald’s oder Zalando. Der Wandel von Plastik zu Papier klinge zwar positiv, kritisieren die Umweltschützer, erhöhe aber den Druck auf das Ökosystem Wald.

Luft verursacht Kosten und mehr CO2

Weiteres Problem: In vielen Sendungen wird Luft verschickt. Laut einer Studie des Verpackungsherstellers DS Smith und Forbes Insights ist in zahlreichen Paketen Leerraum vorhanden – bei Kleidung im Durchschnitt 18 Prozent, bei Glaswaren sogar 64 Prozent. So würden jedes Jahr mindestens 122 Millionen Tonnen CO2unnötig ausgestossen, was etwa den jährlichen CO2-Emissionen von Belgien oder Argentinien entspreche.

So verschickte kürzlich Warner Classic eine CD-Box in einer riesigen Kiste von 50 × 40 × 40 Zentimetern. Und von Galaxus kam ein kleiner Wecker in einer Kartonkiste mit den Ausmassen 39 × 30 × 8 Zentimetern. Die Outdoorfirma Bergfreunde verschickte in einer gleich grossen Kiste ein paar Kinderhandschuhe.

Dort hiess es, das Problem sei bekannt, man arbeite an einer besseren Lösung. Doch «aufgrund der Menge an Paketen, die wir täglich versenden, ist es uns leider nicht möglich, individuelle Kartongrössen zu verwenden». Die Firma Bergfreunde verwendet nur zwei Grundflächen für ihre Produkte, angepasst wird nur die Höhe. Schon dadurch versende man weniger Luft, beziehungsweise könnten mehr Pakete pro LKW transportiert werden.

Eine grundsätzliche Besserung ist noch nicht in Sicht. Unverpackt-Läden beispielsweise fristen ein Nischendasein. Sowieso nimmt der Direkt-Handel ab. Manche Online-Firmen recyceln inzwischen immerhin ihre Retourenkisten, um sie mit anderen Produkten an neue Kunden zu schicken. Doch ansonsten werden die Altkartonberge am Strassenrand auch nach diesen Festtagen wieder höher als die Schneemaden sein.

Mitarbeit: Sabine Kuster